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Strategisch führen mit kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz

Strategisch führen mit kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz

Die Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen erfordert von Führungskräften eine Verbindung von kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz. Die hierzu benötigten konnektiven Fähigkeiten sind bis zu einem gewissen Grad erlernbar.

 

In diesem Blogpost erläutern wir weitere wichtige Bausteine der fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements (Strategie 5.0)

 

Wir schaffen das – aber wie?

Das im Zuge der Flüchtlingskrise am 31. August 2012 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel Geäußerte: „Wir schaffen das“ ist noch in guter Erinnerung. Leider hat sich in der Folgezeit bei einer Vielzahl großer Herausforderungen gezeigt, dass es keine Antworten auf die Anschlussfrage: „Aber wie?“ gab oder diese nicht erfolgreich waren. Meine These ist, dass man von einem Grundmuster des Misslingens sprechen kann.

Eine solche Situation zeichnet sich gegenwärtig bei den vom Wirtschafts- und vom Bauministerium geplanten ehrgeizigen Vorgaben zur Beschleunigung der Wärmewende ab. Danach soll ab dem Jahr 2024 der Einbau von Gas- und Ölheizungen nicht mehr gestattet sein. Der entsprechende Referentenentwurf hat heftige Proteste unter anderem vom Koalitionspartner FDP, der Opposition, der Wohnungswirtschaft und dem Handwerk ausgelöst. Die Kritiker halten die Vorgaben, die eher an eine Planwirtschaft erinnern als an eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft, für nicht umsetzbar.

Kennzeichnend für die ernüchternde Realität ist das Talkshow-Muster einer polarisierenden Kommunikation. Ein Beispiel liefert die Sendung mit Markus Lanz am 31. Januar 2023 im ZDF. Der amtierende Wirtschaftsminister, eine Professorin für Bauphysik und ein Betreiber von Windanlagen unterhalten sich über Probleme bei der Energiewende. Es gibt gute Analysen und es scheinen auch mögliche Lösungsansätze, wie man z.B. die überbordende Bürokratie in den Griff bekommen könnte, auf dem Tisch zu liegen. In Erinnerung bleiben die Bonmots „global schwätzen – lokal verhindern“ und „Windmüller gegen Artenschützer“. Aber dann verebbt die Diskussion – wie eigentlich immer – in kleinteiligen Positionskämpfen auf der Suche nach medialer Aufmerksamkeit.

Was offensichtlich fehlt, ist ein funktionierender Ansatz zur praktischen Lösung der bekannten Probleme unter aktiver Beteiligung der an einer Lösung interessierten Stakeholder. Hier setzt unser Ansatz der fünften Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements an.1 Wir wollen kurz skizzieren, was an einer solchen Strategie 5.0 neu ist.

 

Was ist das Neue an einer Strategie 5.0?

In meinen letzten Blogposts zum Thema Strategie 5.0 habe ich erläutert, wie sich die ersten vier Stufen verbinden und weiterentwickeln und wie dabei eine fünfte Stufe entstanden ist, die sich selbst in einem dynamischen Veränderungsprozess befindet. Ein Beispiel liefert die Stufe drei eines nachhaltigkeitsorientierten strategischen Managements. Angesichts der Irrwege beim ESG-Investing und bei der EU-Taxonomie zeichnet sich hier das Konzept der nachhaltigen Wertsteigerung mit einem neuen Reporting für den strategischen Wandel ab.

Ein weiteres Beispiel ist die generative Künstliche Intelligenz (KI) z.B. mit ChatGPT, die gegenwärtig die zweite Entwicklungsstufe eines technologie- und innovationsorientierten strategischen Managements verändert. Wir sprechen daher von einer Koevolution der früher entstandenen Entwicklungsstufen. Wie bei diesen unterscheiden wir zwischen Grundlagen und Charakteristika. Wichtige Grundlagen der fünften Stufe sind:

  • die Erkenntnis, dass es sich bei Barrieren zwischen Stakeholdern wie z.B. bei der Energiewende um ein „bösartiges“ (wicked) Problem handelt
  • der Megatrend einer technischen Konnektivität z.B. bei digitalen Technologien wie dem Artificial Internet of Things (AIoT)2
  • die zunehmende Bedeutung von Konnektivität im Management mit Lösungsansätzen wie einer verbindenden Führung3 und
  • die in der Praxis noch wenig bekannte Theorie komplexer responsiver Beziehungsprozesse.

Wicked Problems und Complex Responsive Processes of Relating wollen wir hier kurz erläutern.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Begriff Wicked Problem wurde 1973 von den Professoren für Design und Stadtplanung Horst Rittel und Melvin Webber an der Berkeley-Universität geprägt. Diese „bösartigen“ Probleme haben fünf Charakteristika, die eine Lösung mit traditionellen Ansätzen des strategischen Managements erschweren:4

  1. Das wahrgenommene Problem ist ungewöhnlich und ohne vergleichbare Lösungen
  2. es gibt mehrere betroffene Stakeholder mit Werten und Prioritäten, die zueinander in Konflikt stehen
  3. es gibt viele Problemursachen und diese sind untrennbar miteinander verbunden
  4. es ist unmöglich, sicher zu sein, wann man eine korrekte oder beste Lösung hat und
  5. das Verständnis, was das Problem ist, verändert sich im Kontext vorgeschlagener Lösungen.

Für die Bewältigung der Komplexität dieser Probleme gibt es bislang keine befriedigenden Konzepte.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Interessanterweise haben Praktiker, Berater und Wissenschaftler in den ersten vier Entwicklungsstufen des strategischen Managements die Schwierigkeiten dieser      „bösartigen“ Probleme unterschätzt. Eine psychologische Erklärung hierfür mag darin liegen, dass alle diese Akteure dazu neigen, ihre Ohnmacht gegenüber der Komplexität der Herausforderungen zu verdrängen und gerne auf die Machbarkeitsillusion vertrauen, die das traditionelle strategische Management-Paradigma vermittelt.

In dieser Situation kommt ein alternativer Ansatz ins Spiel: Die von Ralph Stacey (1948-2021), der Professor an der Universität von Hertfordshire nördlich von London war, geprägte Theorie komplexer responsiver Beziehungsprozesse.5

Staceys wissenschaftliche Leistung besteht darin, die überwiegend naturwissenschaftlich geprägte Theorie komplexer adaptiver Systeme angepasst und auf das Management übertragen zu haben. Im Mittelpunkt der Arbeit des von ihm gegründeten Complexity and Management Centres (CMC) stehen lokale, nichtlineare Interaktionen zwischen Menschen. Aus dem ungewissen Ausgang der Gesamtheit dieser Interaktionen können sich unterschiedliche Muster ergeben, die nicht prognostizierbar sind. Daher ist es schwer, mit Hilfe von Methoden allgemeine Handlungsempfehlungen zu geben. Wichtig ist hingegen, aus einem tiefen Verständnis der lokalen Interaktionen die Emergenz möglicher Muster abzuleiten.

Stacey ist skeptisch bezüglich des Einsatzes von Methoden bei der Gestaltung von Systemen. Er empfiehlt, Einfluss auf die Rahmenbedingungen oder den Kontext zu nehmen, wobei die Vorstellung von einem System immer eine Abstraktion sei. Welche Aktivitäten erfolgreich sind, hängt entscheidend von dem sich verändernden Kontext ab. Damit liefert die Theorie komplexer responsiver Prozesse eine wichtige Grundlage für das Thema kontextuelle und beziehungsorientierte Intelligenz.

Eine Weiterentwicklung von Staceys Ansatz führt uns zu den Charakteristika einer Strategie 5.0. Diese sind:

  • die Koevolution der früher entstandenen Entwicklungsstufen
  • die Gestaltung von disruptiven Stakeholder- und Innovationsökosystemen6
  • eine Corporate Governance für den strategischen Wandel7
  • eine strategische Führung mit kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz
  • verbindende Fähigkeiten und
  • ein authentisches Führungsverhalten bei der Social-Media-Kommunikation

Das Thema kontextuelle Intelligenz knüpft an eine berühmte Studie der Harvard Business School an.

 

Zeitgeist Leadership Reloaded

Unter dem Titel „Zeitgeist Leadership“ haben im Jahr 2005 die Harvard-Professoren Mayo und Nohria die Ergebnisse einer Studie zusammengefasst, in der 1000 außergewöhnliche US-Wirtschaftsführer analysiert wurden.8 Diese Führungskräfte zeichnet die Fähigkeit aus, Chancen zu erkennen und zu nutzen, die sich aus dem Zeitgeist einer bestimmten Epoche ergeben. Erfolgreiche strategische Führung hängt demnach zu einem Großteil vom Umfeld oder Kontext ab. Dieser Kontext wird durch sechs Einflussfaktoren bestimmt. Personen, die Veränderungen bei diesen Faktoren rechtzeitig wahrnehmen, verfügen über kontextuelle Intelligenz. Die Einflussfaktoren sind:

  1. Globale Ereignisse
  2. staatliche Eingriffe
  3. die Arbeitsverhältnisse
  4. die Demografie
  5. gesellschaftliche Normen und
  6. technologische Entwicklungen.

Diese spezifische Form der Intelligenz ist heute wichtiger denn je, Nitin Nohria hat vor kurzem eine aktualisierte Analyse vorgelegt und einige Entwicklungen beschrieben9 – eine Art Zeitgeist Leadership Reloaded. Wir haben die Faktoren am Beispiel der Energie- und Mobilitätswende in Deutschland betrachtet. In der Abbildung sind diese Aspekte beschrieben.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Kennzeichnend für die Krisenjahre 2022 und 2023 ist das Wort „Zeitenwende“, das Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach Anbruch des Kriegs in der Ukraine in einer Sondersitzung des Bundestags am 27. Februar 2022 geprägt hat. Auch hier kommt es wieder darauf an, wie schnell es gelingt, die Zeitenwende zu meistern, damit sie nicht zu einer Wende in Zeitlupe wird.

Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, ob und wie man die kontextuelle Intelligenz von vorhandenen und angehenden Führungskräften entwickeln kann. Dabei ist das Lernziel, das Zusammenwirken relevanter Einflussfaktoren besser zu verstehen.

 

Multiple Intelligenzen als Ausgangspunkt

Den Ausgangspunkt für eine kontextuelle und eine beziehungsorientierte Intelligenz bildet die 1983 publizierte Theorie der multiplen Intelligenzen des Entwicklungspsychologen und Harvard-Professors Howard Gardner.10

Gardner unterscheidet zwischen acht Formen der Intelligenz und erweitert damit die traditionelle Vorstellung von einer sprachlich-linguistischen und logisch-mathematischen Intelligenz.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Die beiden traditionellen Vorstellungen von Intelligenz bilden eine wichtige Grundlage für die strategische Analyse und Intuition. Im strategischen Management dominierte lange Zeit die relativ einseitige Sichtweise, dass die Fähigkeit zur strategischen Analyse der primäre Erfolgsfaktor für erfolgreiche Strategiearbeit sei. Die Bedeutung der strategischen Intuition wurde dabei unterschätzt.11 Neuere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass es auf eine Kombination von strategischer Analyse und strategischer Intuition ankommt.12 Diese Kombination spielt eine entscheidende Rolle bei der strategischen Vorausschau (Foresight), die gegenwärtig angesichts der zahlreichen Krisen eine Neuinterpretation in Richtung Resilienz erlebt (Strategie 4.0).

In den 1990er Jahren entstand aus der Verknüpfung von interpersonaler und intrapersonaler Intelligenz die Theorie einer emotionalen Intelligenz, die durch den Psychologen und Wissenschaftsjournalisten Daniel Goleman bekannt geworden ist.13 Seit dieser Zeit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass erfolgreiche Führungskräfte auch über emotionale Intelligenz verfügen sollten.14

Wenn man heute von einer unternehmerischen Intelligenz spricht, so verstehen wir darunter das Zusammenwirken von

  • resilienzorientierter strategischer Vorrauschau und
  • emotionaler Intelligenz.

Leider kommt die bewusste Förderung dieses Zusammenwirkens in vielen Programmen zur Führungskräfteentwicklung zu kurz.

Die Abbildung verdeutlicht, dass wir das Konzept der kontextuellen Intelligenz von Führungskräften als Weiterentwicklung ihrer Fähigkeit zu Strategic Foresight betrachten. Das Konzept einer beziehungsorientierten Intelligenz basiert auf der Theorie der emotionalen Intelligenz. Noch wenig erforscht sind die konnektiven Fähigkeiten zur Verbindung von kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz.15

 

Kontextuelle Intelligenz entwickeln

Ein Beispiel für die Bedeutung von kontextueller Intelligenz liefert der Versuch der Europäischen Union (EU), eine Antwort auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) der Biden-Regierung zu finden. Während man in den USA auf einen pragmatischen Ansatz zur Förderung von Umwelttechnologien setzt, halten die Beamten in Brüssel am Bürokratie-Monster ihrer Nachhaltigkeitstaxonomie fest. Leidtragende sind vor allem mittelständische Unternehmen, die nicht die finanzielle Kraft haben, in den USA zu produzieren und sich mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRB) auseinandersetzen müssen, anstatt GreenTech-Innovationen voranzutreiben.16

Diese Unterscheide in Wirtschaftsräumen verdeutlichen, dass es bei der Entwicklung von kontextueller Intelligenz darauf ankommt, nicht nur den Heimatmarkt zu verstehen, sondern auch andere Ausprägungen von Kontextfaktoren und lokalen Interaktionen in relevanten Teilen der Welt mit Rahmenbedingungen und einer Kultur, die sich vom Heimatmarkt unterscheiden. Das strategische Management hat den Einfluss dieser Unterschiede lange Zeit unterschätzt.17

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Ein aktuelles Beispiel liefert das neue Geschäftsmodell der Elektromobilität mit seiner unterschiedlichen Gestalt in Europa und in China. Für deutsche Hersteller von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ist der wichtige chinesische Markt lange Zeit eine Erfolgsgeschichte gewesen. Bei der Elektromobilität droht sich das Blatt zu wenden. Chinesische Anbieter dominieren nicht nur ihren Heimatmarkt, sondern könnten mit ihrer hohen vertikalen Integration z.B. bei kleineren Fahrzeugklassen auch zu gefährlichen disruptiven Wettbewerbern in Europa werden.18 Die Herausforderung für deutsche Unternehmen liegt nun darin, ihr Geschäftsmodell an den chinesischen Markt anzupassen und den Heimatmarkt gegen Angreifer zu verteidigen.

Eine wichtige Empfehlung für europäische Unternehmen ist daher, dass diese sich im Rahmen der fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements intensiver mit dem tief in den Kulturen asiatischer Länder verankerten pragmatischen Strategieverständnis beschäftigen sollten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, was zu tun ist und wie etwas zu tun ist. Die Antwort auf diese Frage liegt in der Orchestrierung von Vermögenswerten (Wuli), Fähigkeiten (Shili) und Beziehungen (Renli).19

 

Beziehungsorientierte Intelligenz verbessern

In der Ausbildung von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren kommt auch heute das Thema beziehungsorientierte Intelligenz bestenfalls am Rande vor.

Auf dem Weg zu erfolgreichen Unternehmensgründern oder Führungskräften in großen Organisationen haben diese Berufsgruppen die folgenden Optionen:

  • Sie können versuchen, sich die relevanten Fähigkeiten selbst beizubringen
  • sie erwerben eine Zusatzqualifikation, z.B. in Organisationspsychologie und/oder
  • sie vertrauen auf ein Learning by Doing in der Praxis.

Es wäre gut, wenn unsere Bildungs- und Weiterbildungsinstitutionen hierfür entsprechende Angebote entwickeln würden.

Absehbar ist, dass die Bedeutung der beziehungsorientierten Intelligenz weiter zunehmen wird. Die Entwicklung des Sprachmodells ChatGPT durch das Start-up-Unternehmen OpenAI und die Beteiligung von Microsoft haben einen Hype um das Thema generative Künstliche Intelligenz (KI) ausgelöst. Microsoft und Google kündigen an, ihre Suchmaschinen mit Hilfe von KI in Antwortmaschinen zu verwandeln. Die Fähigkeit von KI-Systemen, Gespräche zu führen und Texte zu schreiben, wird die Arbeitswelt verändern. Algorithmen übernehmen weitere Bereiche der traditionellen Wissensarbeit. Aber neben der Fähigkeit von Menschen zur Kooperation mit generativer KI sollten gerade Führungskräfte ihre Kompetenz in beziehungsorientierter Intelligenz verbessern. Denn hier hat KI noch immer große Defizite.

Dabei basiert die beziehungsorientierte Intelligenz auf den Fähigkeiten,20

  • ein harmonisches Verhältnis herzustellen
  • andere zu verstehen
  • individuelle Unterschiede wertzuschätzen
  • Vertrauen zu entwickeln und
  • den eigenen Einfluss zu kultivieren.

In der Abbildung sind die Fähigkeiten näher erläutert. Ein wirkungsvoller Ansatz, um bei diesen Fähigkeiten besser zu werden, ist die Zusammenarbeit mit erfahrenen Mentoren.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Ein wichtiges Anwendungsfeld für beziehungsorientierte Intelligenz im Rahmen einer Strategie 5.0 ist die Gestaltung von Stakeholder- und Innovationsökosystemen. Dabei verstehen wir unter dem Begriff Innovationsökosystem die Entstehungsphase eines Stakeholder-Ökosystems ausgehend von einem mehr oder weniger klar definierten Innovationsfeld. Die Zusammenarbeit zwischen einem etablierten Unternehmen, Wissenschaftlern an Hochschulen, Start-ups, neuen Lieferanten und Kunden sowie „schwierigen“ Akteuren in Politik, Verwaltung und Gesellschaft scheitert häufig an Defiziten bei der beziehungsorientierten Intelligenz der Interaktionspartner.

 

Verbindende Fähigkeiten

Die verschiedenen Entwicklungsstufen des strategischen Managements sind durch spezifische Mängel an verbindenden Fähigkeiten gekennzeichnet. In der gegenwärtigen fünften Stufe kommt es vor allem auf die Konnektivität von Stakeholder- und Innovationsökosystemen an.21 In der Abbildung sind diese Mängel zusammengefasst.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

In Innovationsökosystemen spielen konnektive Fähigkeiten, die kontextuelle Intelligenz und beziehungsorientierte Intelligenz verbinden, eine wichtige Rolle. Wir wollen das am Beispiel von Start-up-Ökosystemen verdeutlichen. Dabei hat der Begriff Start-up-Ökosystem oder Entrepreneurial Ecosystem22 eine Doppelbedeutung. Er beschreibt

  1. das Innovationsökosystem aus der Sicht eines einzelnen Start-ups bzw. dessen unternehmerischer Führung sowie
  2. das auf Start-ups bezogene Innovationssystem eines Landes oder einer Region.

Einige der verbindenden Fähigkeiten in Start-up-Ökosystemen wollen wir kurz erläutern.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine wichtige Rolle spielt die Verbesserung der politischen und kulturellen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Start-ups, die in Deutschland seit Jahrzehnten gefordert wird. Leider hat es den Verantwortlichen wohl vor allem an kontextueller Intelligenz gefehlt, um die erforderliche Programme umzusetzen.

Ein weiterer Punkt ist die Orchestrierung von Forschungseinrichtungen, Start-ups, Wagniskapitalgebern und etablierten Unternehmen beim Technologietransfer. Das Bundesforschungsministerium arbeitet am Aufbau einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI), die helfen soll, die relevanten Akteure zu vernetzen. Es ist zu hoffen, dass dabei die Verbesserung der verbindenden Fähigkeiten nicht zu kurz kommt.

Ein dritter Aspekt ist die Zusammenarbeit von Führungskräften und Personalmanagern mit der heterogenen Generation Z und ihren spezifischen Bedürfnissen. Im gegenwärtigen War for Talents rät die 22-jährige Gen Z-Beraterin Yael Meier Unternehmen, die die Angeworbenen dauerhaft binden wollen, neben finanziellen Anreizen auf zwei Instrumente zu setzen: Interne Wertschätzung und externe Wertschätzung aufgrund einer positiven Außenwirkung der Organisation.23

Außerdem ist eine wichtige Frage, wie gut die weltweite Skalierung von Start-ups in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen gelingt. Auch hierbei ist neben Kapitalkraft die Verbindung von kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz ein entscheidender Erfolgsfaktor.

 

Authentisches Führungsverhalten bei der Social-Media-Kommunikation

Ein neueres Einsatzgebiet für verbindende Fähigkeiten ist die Social-Media-Kommunikation von Führungskräften. Dabei hat die Bedeutung von Plattformen wie LinkedIn stark zugenommen. Neben der ursprünglichen Vernetzungsfunktion und der Rolle als Werkzeug bei der Rekrutierung und im Vertrieb24 nutzen immer mehr Führungskräfte LinkedIn als personalisiertes Instrument der Unternehmenskommunikation. Das Führungsverhalten in der sozial verbundenen Welt ist jedoch sehr unterschiedlich.25

Die Kölner Agentur Palmer Hargreaves hat die Social-Media-Kommunikation der CEOs deutscher börsennotierter Unternehmen analysiert und anhand mehrerer Kriterien bewertet.26 Spitzenreiter ist Markus Krebber von RWE, der gemeinsam mit seinem Team das Unternehmen in der Energiekrise politisch positioniert hat. Der drittplatzierte Timotheus Höttges von der Deutschen Telekom punktete mit der Breite der Stakeholder, die er erreicht. Eine Herausforderung für die „LinkedIn-Könige“ ist, sowohl die Professionalität einer Kommunikationsabteilung zu nutzen als auch persönlich authentisch zu wirken. Dies gelingt einer Reihe von Connected Leaders immer besser.

 

Fazit

  • Wichtige Grundlagen für die fünfte Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements (Strategie 5.0) sind die Behandlung von Barrieren zwischen Stakeholdern als Wicked Problem, der Megatrend Konnektivität und die Theorie komplexer responsiver Beziehungsprozesse
  • Die Bewältigung von „bösartigen“ Problemen und komplexe responsive Beziehungsprozesse erfordern eine Verbindung von kontextueller und beziehungsorientierter Intelligenz, deren Förderung in der Führungskräfteentwicklung einen höheren Stellenwert bekommen sollte
  • Der Begriff kontextuelle Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, das Zusammenwirken relevanter Einflussfaktoren im Umfeld zu verstehen und daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Führungskräfte sollten sich neben dem Heimatmarkt auch intensiver mit dem Kontext und lokalen Interaktionen in anderen Wirtschaftsräumen beschäftigen
  • Beziehungsorientierte Intelligenz basiert auf spezifischen, erlernbaren Fähigkeiten, die in der Führungskräfteentwicklung eine eher untergeordnete Rolle spielen, für den Erfolg von Stakeholder- und Innovationsökosystemen aber von großer Bedeutung sind
  • Eine strategische Führung, die kontextuelle und beziehungsorientierte Intelligenz verbindet, kann einen Beitrag zur Lösung „bösartiger“ Probleme leisten
  • Kontextuelle und beziehungsorientierte Intelligenz sowie deren Verbindung sind wichtige Bausteine einer Strategie 5.0. Die Defizite z.B. im deutschen Start-up-Ökosystem resultieren unter anderem aus einem Mangel an den erforderlichen konnektiven Fähigkeiten
  • Zukunftsorientierte Connected Leaders erkennt man an ihrer hohen Kompetenz bei einer authentischen Social-Media-Kommunikation in einer verbundenen Welt

 

Literatur

[1] Servatius, H.G.: Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[2] Servatius, H.G.: Der Megatrend Konnektivität und seine Treiber. In: Competivation Blog, 26.10.2021

[3] Servatius, H.G.: Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[4] Camillus, J.L.: Wicked Strategies – How Companies Conquer Complexity and Confound Competitors, Toronto 2016

[5] Stacey, R.: Tools and Techniques of Leadership and Management – Meeting the Challenge of Complexity, London 2012

[6] Servatius, H.G.: Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosystemen. In: Competivation Blog, 10.01.2023

[7] Servatius, H.G.: Corporate Governance für den strategischen Wandel. In: Competivation Blog, 16.11.2022

[8] Mayo, A., Nohria, N.: Zeitgeist Leadership. In: Harvard Business Review, October 2005

[9] Nohria, N.: Andere Zeiten, andere Führung. In: Manager Magazin, Februar 2023, S. 78-82

[10] Gardner, H.: Frames of Mind – The Theory of Multiple Intelligences, New York, 1983

[11] Duggan, W.: Strategic Intuition – The Creative Spark in Human Achievement, New York 2007

[12] Servatius, H.G.: Wie Manager das Innovationssystem verhaltensökonomisch gestalten – Ein potenzialorientierter Ansatz. In: IM+io – Fachzeitschrift für Innovation, Organisation und Management, Heft 3, September 2015, S. 20-27

[13] Goleman, D.: Emotional Intelligence – Why it Can Matter More Than IQ, New York 1995

[14] Goleman, D., Boyatzis, R., McKee, A.: Emotionale Führung, München 2002

[15] Servatius, H.G.: Mentoring-Programme für die Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[16] Servatius, H.G.: Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map. In: Competivation Blog, 30.11.2021

[17] Khanna, T.: Contextual Intelligence. In: Harvard Business Review, September 2014

[18] Hubik, F., Tyborski, R.: Scheitern in China. In: Handelsblatt, 22. Februar 2023, S. 1, 4-5

[19] Nonaka, I., Zhu, Z.: Pragmatic Strategy – Eastern Wisdom, Global Success, Cambridge 2012, S. 276 ff., S. 298 ff.

[20] Bandelli, A.C.: Relational Intelligence – The Five Essential Skills You Need to Build Life-Changing Relationships, Murrels Inlet 2022

[21] Servatius, H.G.: Let’s Connect! Personalentwicklung für Stakeholder-Ökosysteme. In: IM+io – Best & Next Practices aus Digitalisierung, Management und Wirtschaft, Heft 1, März 2023, S. 40-43

[22] Spigel, B.: Get Social – Social Media Strategy and Tactics for Leaders, London 2018

[23] Banze, S., Steinharter, H.: Sturm und Drängeln. In: Manager Magazin, März 2023, S. 114-119

[24] Disney, D.: The Ultimate LinkedIn Sales Guide, Chichester 2021

[25] Corrille, M.: Get Social – Social Media Strategy and Tactics for Leaders, London 2018

[26] Beil, J., Müllender, A.: Die LinkedIn-Könige. In: Handelsblatt, 3./4./5. März, S. 52-53

Connective Management als Erfolgsfaktor von Game Changern

Connective Management als Erfolgsfaktor von Game Changern

Gibt es eine Handlungsempfehlung für Unternehmen, die die Spielregeln des Wettbewerbs verändern wollen? Wir denken, dass es die gibt und sie darin besteht, von den Vorreitern eines Connective Managements zu lernen.

 

In diesem Blogpost skizzieren wir den Weg zu einem neuen Management-Paradigma

 

Mit KI Silos überwinden

Die Vision des Knowledge Managements war, das in den Köpfen von Menschen vorhandene Wissen zu verbinden, organisatorische Silos zu überwinden und so den Wert von Unternehmen zu steigern.1 Bei Henkel tragen Künstliche Intelligenz (KI) und eine cloudbasierte Wissensdatenbank dazu bei, dieser Vision einen Schritt näher zu kommen. Michael Nilles, der Chief Digital Information Officer (CDIO) von Henkel sieht hierin ein wichtiges Element der strategischen und organisatorischen Neuausrichtung des Unternehmens.2

Das Beispiel zeigt, dass sich mit Covid-19 der Wandel von Unternehmen noch einmal beschleunigt hat. Diese Situation nehmen wir zum Anlass, unsere Arbeit im vergangenen Jahr zu reflektieren.

 

Auftakt einer thematischen Reise

Das letzte physische Treffen unseres Expertenkreises für Innovationsmanager in Familienunternehmen fand im November 2019 bei SAP in Ratingen statt. In diesem Meeting haben Tim Kaufmann von SAP und ich unser Buch „Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer“ vorgestellt.3 Weitere geplante Treffen mussten wir dann wegen der Corona-Pandemie verschieben.

Die Frage, was die Erfolgsfaktoren von Game Changern sind, hat uns seitdem weiter beschäftigt. Diese Unternehmen verändern mit radikalen Innovationen die Spielregeln des Wettbewerbs. Sie werden in den Medien gefeiert. Aber man weiß relativ wenig darüber, wie diese Erfolge zustande kommen.

Daher bildete die Publikation unseres Buchs im Frühjahr 20204 eine Art Auftakt für die weitere Beschäftigung mit dem Thema. Diese thematische Reise, die in spannenden Projekten, digitalen Lehrveranstaltungen und gemeinsamen Reflektionen stattfand, wollen wir kurz skizzieren.

 

Gemeinsamkeiten von Game-Changer-Themen

Ein erster Schritt auf dieser Reise war der Versuch, eine Art Typologie von Game-Changer-Themen zu entwickeln. Diese Typologie haben wir im Januar 2020 zur Diskussion gestellt5 und einzelne Themen, wie z.B. die disruptive Wirkung digitaler Technologien6 in weiteren Blogposts vertieft.

Eine interessante Erkenntnis war, dass Game-Changer-Themen einige Gemeinsamkeiten zu haben scheinen, wie z.B. dass sie für Unternehmen sowohl eine Bedrohung als auch eine Chance darstellen.

 

Eine Pandemie als Game Changer

Im Winter 2020 begann dann die Corona-Pandemie, ihre Game-Changer-Wirkung zu entfalten.7

Hieraus entstand die Notwendigkeit, mit radikalen Innovationen gegen diese Pandemie anzukämpfen. Wir haben dies zum Anlass genommen, uns intensiver mit dem Stand der Forschung beim Thema radikale Innovationen zu beschäftigen und hierüber in einer von Professor Frank Piller organisierten digitalen Vorlesung der RWTH Aachen berichtet.8

Es ergab sich eine spannende Diskussion der Frage, ob radikale Innovationen einen Paradigmawechsel im Management erfordern und wie ein solcher grundlegender Wandel aussehen könnte.

 

Integriertes Management als Ausgangspunkt

Ein möglicher Ausgangspunkt für einen solchen Wandel ist das Konzept eines integrierten Managements, das allerdings im 21. Jahrhundert einer Weiterentwicklung bedarf. In unserem Blogpost im Juli 2020 haben wir eine solche Weiterentwicklung auf den verschiedenen Managementebenen skizziert, die für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen von großer Bedeutung sein könnte.9

 

Purpose, Geschäftsmodell-Portfolios und KI-basierte Wertschöpfung

Ein spannendes neues Thema auf der normativen Managementebene ist die verstärkte Sinnsuche von Unternehmen. Ein wichtiger Treiber in der Purpose Economy sind Nachhaltigkeitsinnovationen, mit denen wir uns – unter Einhaltung strenger Hygienevorschriften – in einem Expertenkreis-Treffen an der RWTH Aachen beschäftigt haben.10

Neben der normativen Ebene verändert sich auch die Ebene des strategischen Managements. Im Mittelpunkt steht dabei die Gestaltung des Innovationsstrategie-Prozesses. In meinen Vorlesungen im Rahmen der von Professor Rainer Paffrath koordinierten digitalen Lehre an der zur Klett Gruppe gehörenden EUFH habe ich dieses Thema ausführlich behandelt.

Am Anfang des Strategieprozesses steht eine Weiterentwicklung der Vorausschau von Unternehmen (Corporate Foresight) mit einem Game-Changer-Radar.11 Die Portfolio-Methode erlebt eine Renaissance in Form von Portfolios für entstehende und vorhandene Geschäftsmodelle.12 Wichtige Impulse gehen dabei von Geschäftsmodell-Mustern aus. Viele neue Geschäftsmodelle ergeben sich aus der Zusammenarbeit von Partnern in Innovationsökosystemen. Dabei wird eine gute Zusammenarbeit zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor immer wichtiger.13

Auf der operativen Managementebene gehen wichtige Veränderungen von digitalen Technologien wie dem Internet of Things (IoT) und Künstlicher Intelligenz (KI) aus. In Unternehmen wie Amazon und Microsoft ist eine KI-basierte Wertschöpfung entstanden, die neue Möglichkeiten zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen ermöglicht. Gleichzeitig wird das operative Management zum Treiber neuer Organisationsformen.

 

Game Changer mit neuen Organisationsformen

In meiner digitalen Wintervorlesung im Januar 2021 bei Professor Birgit Renzl an der Universität Stuttgart habe ich erläutert, wie einige der wertvollsten Unternehmen der Welt in den USA und in China Ressourcen-Plattformen mit agilen Teams als neue Organisationsform erproben.14 Eine spannende Frage ist, ob und wie etablierte europäische Unternehmen auf diese organisatorische Innovation von Game Changern reagieren.

Ein gemeinsames Kennzeichen dieser Unternehmen ist, dass alle ein neues Connective Management praktizieren, das die Verbindung zwischen Management- und Organisationsbausteinen betont. Dieses Management erfordert eine stärker „verbindende“ Personalführung,15 die in eine innovationsfördernde Kultur eingebettet ist.16

Lernprozess Innovationsstrategie

Es stellt sich nun die Frage, was dies alles für die praktische Tätigkeit in etablierten Unternehmen bedeutet.

 

Besseres Verständnis eines Connective Managements

Unsere thematische Reise während des letzten Jahres hat zu interessanten Erkenntnissen geführt. Wir haben eine Zwischenstation erreicht, die durch die Schlussfolgerung geprägt ist, dass wir das neue Connective Management besser verstehen möchten.

Wir würden uns freuen, wenn Sie als interessierter Leser in Wissenschaft und Praxis uns auf dieser Reise begleiten. Gerade in Corona-Zeiten sind Verbindungen besonders wichtig und – wie die zahlreichen digitalen Veranstaltungen zeigen – auch möglich. Also lassen Sie uns diese thematische Reise gemeinsam fortsetzen.

 

Fazit

  • Unser Buch zur Game-Changer-Wirkung digitaler Technologien, die Gemeinsamkeiten von Themen, die die Spielregeln des Wettbewerbs verändern und die Corona-Pandemie haben die Anregung zu einer vertieften Beschäftigung mit radikalen Innovationen geliefert
  • Eine wichtige Erkenntnis ist, dass radikale Innovationen einen Paradigmawechsel im Management erfordern
  • Dieser grundlegende Wandel betrifft die verschiedenen Managementebenen und davon ausgehend die Organisationsform sowie die Kultur und Personalführung
  • Es zeichnet sich die Entwicklung eines neuen Connective Managements ab, das erfolgreiche Game Changer bereits praktizieren

 

Literatur

[1] Palass, B., Servatius, H.G.: WissensWert – Mit Knowledge Management erfolgreich im E-Business, Stuttgart 2001

[2] Bialek, C.: Henkel kämpft mit KI gegen die Silos. In: Handelsblatt, 21. Januar 2021, S. 26-27

[3] Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer. In: Competivation Blog, 21.11.2019

[4] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

[5] Servatius, H.G.: Game-Changer-Themen meistern. In: Competivation Blog, 07.01.2020

[6] Servatius, H.G.: Entwicklung von digitalen Anwendungen mit Low-Code-Plattformen. In: Competivation Blog, 23.01.2020

[7] Servatius, H.G.: Eine Pandemie als Game-Changer. In: Competivation Blog, 26.03.2020

[8] Servatius, H.G.: Mit radikalen Innovationen gegen die Corona-Krise. In: Competivation Blog, 28.04.2020

[9] Servatius, H.G.: 21st Century Management zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. In: Competivation Blog, 29.07.2020

[10] Servatius, H.G.: Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 05.10.2020

[11] Servatius, H.G.: Strategische Vorausschau mit einem Game-Changer-Radar. In: Competivation Blog, 27.01.2021

[12] Servatius, H.G.: Analyse von Geschäftsmodell-Portfolios und Verbesserung des Risikomanagements. In: Competivation Blog, 19.11.2020

[13] Servatius, H.G.: Connective Management in Public-Private Innovation Ecosystems. In Vorbereitung

[14] Servatius, H.G.: Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Servatius, H.G.: Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[16] Servatius, H.G.: Förderung einer Innovationskultur durch die Führung. In: Competivation Blog, 07.01.2020

Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen

Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen

Die Probleme bei der Mobilitätswende könnten zu einer Bedrohung für Schlüsselbranchen wie die Automobilindustrie werden. Der Weg zu erfolgreichen Nachhaltigkeitsinnovationen führt über verbesserte Stakeholder-Beziehungen.

 

Stolpersteine bei der Energie- und Mobilitätswende

Bei wichtigen Nachhaltigkeitsthemen wie Solarenergie und Elektromobilität ist die Bilanz des Zusammenspiels zwischen der deutschen Innovationspolitik und dem Innovationsmanagement deutscher Unternehmen besorgniserregend.1 So führt die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Zeitraum von 2000-2025 zu Subventionen in Höhe von über 400 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sind die meisten deutschen Anbieter von Solartechnik von der Landkarte verschwunden. Bei Lithium-Ionen-Batterien geraten deutsche Automobil-Unternehmen in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Herstellern. Obwohl die Lithium-Gewinnung mit erheblichen Umweltproblemen verbunden ist, hat die deutsche Industrie bislang die Chance nicht genutzt, die Wettbewerber mit besseren Batterietechnologien zu überholen. Viele Autofahrer sind allerdings auch noch nicht auf Elektromobilität umgestiegen, weil sie mit der vorhandenen Ladeinfrastruktur unzufrieden sind.

Diese Beispiele zu Nachhaltigkeitsinnovationen im Energie- und Mobilitätssektor verdeutlichen ein Game-Changer-Thema vom Typ drei, bei dem Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern Durchbrüche erschweren.2

 

Erweiterung des klassischen Innovationsmanagement

Das klassische Innovationsmanagement ist auf den wirtschaftlichen Erfolg mit inkrementellen und radikalen Neuerungen gerichtet. Diese „Profit-Orientierung“ erlebt in Zeiten des Klimawandels eine Erweiterung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Treiber der Erweiterung sind Nachhaltigkeitsinnovationen, die zusätzlich zum wirtschaftlichen Erfolg auf einen ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen gerichtet sind. Neben die Gewinnmaximierung tritt die Suche nach einem höheren Zweck, oder neudeutsch „Purpose“, der in einem Unternehmensleitbild verankert ist.3

 

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass internationale Konzerne wie die BASF, Bosch und SAP in der Value Balancing Alliance an einem Ansatz arbeiten, der versucht, bei der Bilanzierung Auswirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft besser zu erfassen.4 Bislang fehlen für die Corporate Social Responsibility (CSR-) Aktivitäten von Unternehmen einheitliche Standards.

Die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinnovationen stellt Unternehmen aber vor neue Herausforderungen. Ähnlich wie das Innovationsmanagement erfordert auch das Nachhaltigkeitsmanagement einen integrierten Ansatz. Das nächste große Thema sind dediziert nachhaltigkeitsorientierte Innovationssysteme (DIS).5 Unsere Initiative „Next Level of Innovation“ zielt darauf ab, den Wandel in Richtung auf eine stärkere Nachhaltigkeitsorientierung von Innovationspolitik und Innovationsmanagement zu unterstützen.6 Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die evolutionäre Ökonomie, die lange im Schatten der neoklassischen Mainstream-Ökonomie stand.

 

Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern

Bei Pionieren des Nachhaltigkeitsmanagements, wie z.B. Henkel, ist eine nachhaltigkeitsorientierte Führung und Organisation tief in der Kultur des Unternehmens verankert. Am Anfang der Entwicklungsgeschichte stehen häufig Nachhaltigkeitsinnovationen und das Thema Nachhaltigkeit durchdringt die gesamte Wertschöpfung. Folgerichtig existiert eine kontinuierlich weiterentwickelte Nachhaltigkeitsstrategie, die in Form messbarer Ergebnisse operationalisiert wird.7 Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wertsteigerung haben viele Unternehmen aber Probleme bei der Gestaltung der immer komplexer werdenden Beziehungen zu Stakeholdern in Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Justiz. Daher kommt einer Verbesserung des Stakeholder Relationship Management die Rolle eines Game Changers bei Nachhaltigkeitssystemen zu.8

 

Ein typisches Muster des Misslingens geht vom Thema „Not in my backyard“ aus. Während ein Großteil der Bevölkerung erneuerbare Energien begrüßt, wehren sich unmittelbar Betroffene gegen die Ansiedlung von Windenergieanlagen oder Stromleitungen. Der Nimby-Effekt ruft die Politik auf den Plan, die versucht einen Interessenausgleich herzustellen. Gelingt dies nicht, sind die Leidtragenden die Unternehmen, deren Verbreitung von Nachhaltigkeitsinnovationen blockiert wird.

Die Schwierigkeit für Unternehmen liegt unter anderen darin, dass bei neuen Themen wie der fünften Generation des Mobilfunks (5G) oder Künstliche Intelligenz (KI) der Verlauf der „Erregungskurve“ bei Bürgern, die sich gegen innovative Technologien wehren und die Reaktionen der Politik nicht einfach zu prognostizieren sind.

 

Drei Phasen gemeinsamer Lernprozesse

Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen, die an Nachhaltigkeitsinnovationen arbeiten, ihre Beziehungen zu Stakeholdern systematisch verbessern können. Im Rahmen unserer Projekte haben wir gute Erfahrungen mit gemeinsamen Lernprozessen gemacht, die in drei Phasen ablaufen. In der ersten Phase einer solchen Learning Journey geht es darum, frühzeitig die komplexen Muster von Innovationsbarrieren besser zu verstehen. Danach schaffen die Akteure geeignete Kommunikationsformate, die auf einen Interessenausgleich gerichtet sind. Dies mündet in Phase drei in die Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme ein, in denen Barrieren abgebaut und Potenziale ausgeschöpft werden. Auf diese Weise gelingt eine nachhaltige Wertsteigerung in Innovationsfeldern.

 

Das Leitbild des Sicherheitsanbieters Giesecke+Devrient lautet: Creating Confidence. Ralf Wintergerst, der CEO des Unternehmens, fordert für den digitalen Wandel mehr Vernetzung zwischen Politik und Wirtschaft.9 Dies gilt auch für Nachhaltigkeitsinnovationen, bei denen die Akteure in Co-Creation-Prozessen ein gemeinsames Lernen orchestrieren müssen.

Häufig unterschätzt wird bislang die Bedeutung der ersten Phase, in der es darum geht, mögliche Innovationsbarrieren besser zu verstehen. So ist es im Rückblick erstaunlich, wie lange Auflagen für Smart Meter Gateways des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die breite Einführung neuer Gesellschaftsmodelle in Deutschland verzögert. Ein lokales Beispiel ist das von Tesla geplante neue Werk in Grünheide bei Berlin. Auf Antrag der Grünen Liga Brandenburg stoppte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Abholzen einer knapp 92 Hektar großen Waldfläche. Der Rodungsstopp gilt so lange, bis über die Eilanträge abschließend entschieden ist.10 Auf diese Weise macht der US-Elektroauto-Hersteller erste Erfahrungen mit dem deutschen Naturschutz. Kritiker sprechen von ökonomischem Analphabetismus und fordern eine Änderung des Verbandsklagerechts.11

Die spannende Frage ist, mit welchen vorhandenen oder neuen Kommunikationsformaten es gelingen kann, die Stakeholder-Beziehungen bei Nachhaltigkeitsinnovationen zu verbessern. Ein Problem ist dabei die zunehmende Polarisierung der Positionen, die es immer schwieriger macht, Zielkonflikte zwischen den Dimensionen einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit zu bewältigen. Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die Verknüpfung der Theorie komplexer Systeme mit der Erforschung von „wicked“ (boshaften) Problemen.12 Derartige Probleme sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es verschiedene Stakeholder gibt, bei deren Werten und Prioritäten gravierende Unterschiede bestehen.13

Bei der Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme besteht die Chance für Europa darin, das Modell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und sich so von anderen Politikmodellen zu differenzieren. Ein Innovationsfeld, bei dem Unternehmen und Politik seit Jahren versuchen, einen Durchbruch zu erzielen, ist die Wasserstoffwirtschaft.14 Es bleibt abzuwarten, ob und wann dieser gelingt. Die Stellungnahme des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zur nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung und zur nationalen Umsetzung der Renewable Energy Directive (REDII) zeigt, dass sich die Politik und ein wichtiger Verband in einen konstruktiven Dialogprozess befinden, der hoffentlich zu weiteren konkreten Maßnahmen führt.

 

Organisatorische Implikationen

Das Innovationsmanagement und das Nachhaltigkeitsmanagement sind heute in der Regel in unterschiedlichen Organisationseinheiten angesiedelt. Beide Einheiten haben komplexe, koordinierende Aufgaben mit großer strategischer Bedeutung für die Unternehmensentwicklung. Außerdem spielen beide Einheiten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit dem Kapitalmarkt, der Politik und der Öffentlichkeit.

Im Rahmen eines engagierten Wandels zu nachhaltigkeitsorientierten Innovationssystemen konvergieren diese Aufgaben und die Abstimmung zwischen dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement wird immer wichtiger.

 

Ähnlich wie beim digitalen Wandel stoßen traditionelle Organisationskonzepte bei einer Bewältigung dieser Konvergenz an ihre Grenzen. Eine mögliche Lösung sind evolutionäre Organisationsformen, die darauf gerichtet sind, gemeinsame Lernprozesse mit Kunden und Stakeholdern zu fördern. In unserem Buch „Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer“ behandeln wir dieses Thema als Baustein eines Management 4.0.15 Die Gestaltung und Befähigung solcher evolutionären Organisationen betrachten wir als wichtiges Feld für die Managementforschung.

 

Literatur

[1] Dohmen, F. et al.: Grüner Blackout. In: Der Spiegel, 4. Mai 2019, S. 12-21

[2] Servatius, H.G.: Game-Changer-Themen meistern. In: Competivation Blog, 07. Januar 2020

[3] Reiman, J.: The Story of Purpose – The Path to Creating a Brighter Brand, a Greater Company and a Lasting Legacy, Hoboken 2013

[4] Fockenbrock, D.: Konzerne gründen Wertallianz. In: Handelsblatt, 19. August 2019

[5] Urmetzer, S., Pyka, A.: Innovation Systems for Sustainability. In: Filho, W.L. et al. (Hrsg.): Encyclopedia of the UN Sustainable Development Goals – Decent Work and Economic Growth, Cham 2019

[6] Competivation: Nachhaltigkeitsinnovationen

[7] Servatius, H.G.: Wettbewerbsvorteile durch die Gestaltung eines Nachhaltigkeitssystems. In: Thomaschewski, D., Völker, R. (Hrsg.), Nachhaltige Unternehmensentwicklung – Herausforderungen für die Unternehmensführung des 21. Jahrhunderts, Stuttgart 2016, S. 27-32

[8] Baugh, A.: Stakeholder Engagement – The Game Changer for Program Management, Boca Raton 2015

[9] Wintergerst, R.: Digitale Probleme meistern. In: Handelsblatt, 13. Februar 2020, S. 48

[10] Neuerer, D.: Gericht bremst Tesla-Projekt aus. In: Handelsblatt, 17. Februar 2020, S. 5

[11] Sigmund, T.: Willkommen in Absurdistan. In: Handelsblatt, 18. Februar 2020, S. 16

[12] Waddock, S. et al.: The Complexity of Wicked Problems in Large Scale Change. In: Journal of Organizational Change Management, 2015, S. 993-1012

[13] Head. B.W., Alford, J.: Wicked Problems – Implications for Public Policy and Management. In: Administration and Society, 2015, S. 711-739

[14] Knitterscheidt, K. et al.: Ein Molekül macht Karriere. In: Handelsblatt, 7./8./9. Februar 2020, S. 40-45

[15] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

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