Komplexitätsbewältigung | Competivation
Von erfolgreichen Digital-Unternehmen lernen

Von erfolgreichen Digital-Unternehmen lernen

Sechs der sieben wertvollsten Unternehmen der Welt sind führend bei Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI). Daneben gehen beim aktuellen Thema generative KI wichtige Impulse von Start-ups aus. Daher stellt sich die Frage, was etablierte Unternehmen von diesen Digital-Champions lernen können. Die Suche nach Antworten auf diese Frage führt uns zu einem Paradigmenwechsel im strategischen Management, der lange Zeit von etablierten Unternehmen nicht verstanden worden ist. Eng damit verbunden ist ein Wandel der Personalführung und Kultur.

 

In diesem Blogpost erläutere ich einen Ansatz, der zum Erfolg der Digital-Unternehmen beigetragen hat. In den USA nennt man diesen Ansatz „geeky leadership style“.

 

Steigerung des Unternehmenswertes der „großen Sechs“

Zu den sieben wertvollsten Unternehmen der Welt gehören (Stand 27.06.2024) Microsoft, Apple, Nvidia, Alphabet, Amazon und Meta. Diese „großen Sechs“ aus den USA profitieren in unterschiedlichem Maße von dem gegenwärtigen Boom bei der generativen Künstlichen Intelligenz.1 Allein Microsoft ist zurzeit 77 Prozent mehr wert als alle 40 Dax-Unternehmen zusammen.

Der Erfolg der US-Unternehmen basiert aber nicht nur auf ihrer Digitalkompetenz, sondern auch auf Managementinnovationen. Diese Kombination hat zu einem Vorsprung gegenüber etablierten Unternehmen geführt. Während die Kompetenz in den unterschiedlichen Wellen der Digitalisierung offensichtlich ist, sind die neuen Managementansätze in den Erfolgsphasen der Digital-Unternehmen weit weniger transparent.

 

Ursachen der Erfolgsphasen von Digital-Unternehmen

Wir sind daher der Frage nachgegangen, was die europäische Wirtschaft von erfolgreichen Digital-Unternehmen lernen kann. Das Ergebnis ist eine Kausalkette, die mit der Verbindung der ersten Entwicklungsstufe eines markt- und finanzorientierten strategischen Managements mit der zweiten, durch Technologie und Innovation bestimmten Stufe beginnt. Diese Verbindung hat Theorie verändernd gewirkt und zu einem Paradigmenwechsel von einem eher mechanistischen zu einem komplexitätsbewältigenden strategischen Management geführt. Dieser Paradigmenwechsel prägte die Kultur in den Erfolgsphasen von Digital-Unternehmen. In diesen Phasen ist eine innovationsfördernde Personalführung und disruptive Unternehmenskultur entstanden, die für etablierte Unternehmen eine schwer zu überwindende Barriere darstellt.

Lernprozess Innovationsstrategie

Diese drei Ursachen möchte ich in den folgenden Abschnitten erläutern. Ein besseres Verständnis der Ursachen kann dazu beitragen, dass etablierten Unternehmen der digitale Wandel besser gelingt. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings die Bereitschaft, zu lernen und traditionelle kulturelle Normen zu hinterfragen. Den Ausgangspunkt bildet eine systemorientierte Verbindung der Strategie 1.0 und der Strategie 2.0.

 

Systemorientierte Verbindung von Strategie 1.0 und 2.0

Seit Anfang der 1980er Jahre hat eine Erweiterung des traditionellen markt- und finanzorientierten strategischen Managements (Strategie 1.0) um eine technologie- und innovationsorientierte zweite Entwicklungsstufe stattgefunden (Strategie 2.0).2 Diese Erweiterung haben erfolgreichen Digital-Unternehmen zu ihrem Vorteil genutzt. Deren Erfolg basiert zum einen auf ihrem Vorsprung bei digitalen Technologien. Mindestens ebenso wichtig ist die systemorientierte Integration eines analyseorientierten strategischen Handelns und einer innovationsfördernden Kultur. Auf diese Weise ist es ihnen gelungen, einen neuen integrierten Ansatz zur Gestaltung von Innovationsystemen zu realisieren.3 Dieser Ansatz ist nicht auf das eigene Unternehmen beschränkt, sondern bezieht Start-up-Ökosysteme mit ein.

In erfolgreichen Start-up-Ökosystemen arbeiten vier Sektoren partnerschaftlich zusammen. Die Politik fördert aktiv die Bildung, neue Technologien und Innovationen. Der Wissenschaft gelingt die erfolgreiche Ausgründung von Start-ups. Wagniskapitalgeber und ein Corporate Venture Management finanzieren nicht nur die Gründung, sondern auch die Skalierung der Start-ups. Und auch die Gesellschaft spielt eine wichtige Rolle, indem sie ein positives Innovationsklima und attraktive Rahmenbedingungen schafft.

Lernprozess Innovationsstrategie

Dieses Zusammenspiel hat mit mehreren Jahrzehnten Vorsprung gegenüber Europa zur Erfolgsgeschichte des Silicon Valleys geführt.4 Das Beispiel zeigt jedoch auch das Spannungsverhältnis zwischen dem gegenwärtigen KI-Boom und den explodierenden Lebenshaltungskosten an der US-amerikanischen Westküste.

Die Entwicklung von Start-up-Ökosystemen wurde durch die in den 1960er Jahren entstandene Design-Wissenschaft5 und Methoden wie dem Design Thinking befruchtet.6 Das Design Thinking unterstützt den interdisziplinären Lernprozess zur Gestaltung von digitalen Geschäftsmodellen. Dabei wirken innovative Technologien als Ermöglicher von neuen Formen der Problemlösung und Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Das bereits in den 1940er Jahren von dem Psychologie-Professor Kurt Lewin in den USA entwickelte Action Research7 liefert die theoretische Basis für Lernschleifen, die von Hypothesen ausgehen, etwas gestalten, das man bei Kunden testen kann und deren Ergebnisse zu möglichen Richtungsänderungen führen. Anfang der 1990er Jahren sind auf dieser Grundlage agile Methoden zur Softwareentwicklung wie Scrum entstanden.8 So sind aus Start-ups, die diese Konzepte nutzen, die wertvollsten Unternehmen der Welt geworden.

Das Beispiel Amazon zeigt, dass diese Unternehmen auch kritische Phasen meistern mussten. Nach dem Scheitern eines Projekts zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Funktionsbereichen erkannte Jeff Bezos die Notwendigkeit eines Richtungswechsels. Er führte das „Zwei-Pizza-Prinzip“ für agile Teams ein und setzte die Konzentration von Projektleitern auf ein einzelnes Projekt durch (Single-Threaded Leaders). Damit agile Teams möglichst selbständig arbeiten können, war die Entwicklung einer modularen IT-Architektur notwendig. Diese interne Initiative bildete den Ausgangspunkt für die Gründung von Amazon Web Services (AWS), dem heutigen Weltmarktführer im Cloud-Geschäft.9

Die theoretische Grundlage für derartige Aktivitäten lieferte ein Paradigmenwechsel im strategischen Management, der sich in den 1990er Jahren vollzogen hat. Ich möchte kurz schildern, wie ich diese Zeit erlebt habe.

 

Paradigmenwechsel von mechanistisch zu komplexitätsbewältigend

Nach rund einem Jahrzehnt in der Strategieberatung hatte ich damals den Eindruck, dass die vorhandenen, relativ mechanistische Strategiekonzepte nicht ausreichend sind, um die Komplexität von Innovations- und Nachhaltigkeitsthemen zu bewältigen. Auf der Suche nach besseren Lösungsansätzen bin ich auf die Evolutions- und Komplexitätstheorien gestoßen und habe über den notwendig erscheinenden Paradigmenwechsel im strategischen Management 1991 an der Universität Stuttgart extern habilitiert.10

Lernprozess Innovationsstrategie

Ein komplexitätsbewältigendes strategisches Management basiert auf drei theoretischen Grundlagen, die sich wechselseitig beeinflusst haben. Als erstes sind in verschiedenen Disziplinen Evolutionstheorien entstanden, Sie betrachten die dynamische Abfolge von Ungleichgewichten als Balance zwischen Chaos und Ordnung, dessen Ergebnis von den Anfangsbedingungen abhängt.11 Wichtige Impulse gingen dann von dem 1984 in den USA gegründeten Santa Fe Institute und der dort entwickelten Theorie komplexer adaptiver Systeme aus. Diese beschäftigt sich mit der Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für eine stärker selbstorganisierte Interaktion kompetenter Akteure am „Chaosrand“, die auf einfachen Regeln basiert.12 Einen Beitrag zur Anwendung in Organisationen leistet die Theorie komplexer interaktiver Beziehungsprozesse. Im Mittelpunkt stehen hierbei lokale, nicht lineare Interaktionen von Akteuren, aus deren Verlauf sich Muster ergeben, die schwer prognostizierbar sind.13

Diese relativ abstrakt klingenden Gedanken waren in den 1990er Jahren etablierten Unternehmen schwer zu vermitteln. Daher sind auch die großen Beratungsunternehmen nicht auf diesen Zug aufgesprungen. Dennoch haben die Theorien ihren Weg in die Praxis gefunden. Dieser Weg führte von der Stanford University zu Google. Mit der fortschreitenden Digitalisierung hat dann die Bedeutung der Evolutions- und Komplexitätstheorien stark zugenommen.

1995 erschien das Buch Competing on the Edge der späteren Google-Managerin Shona Brown und der Stanford-Professorin Kathleen Eisenhardt, die versuchen die Komplexitätstheorien auf das strategische Management zu übertragen.14 Ihre Handlungsempfehlungen gliedern sie in die Felder Chaosrand, Zeit-Harmonie und zeitliche Taktung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Komplexitätsbewältigung durch die Suche nach der richtigen Balance. Im Feld Chaosrand lauten die Handlungsempfehlungen:

  • Mit professioneller Improvisation die Mitte zwischen zu viel Struktur und zu viel Durcheinander suchen und
  • durch gemeinsame Anpassung Synergien zwischen Geschäften nutzen, um so die Balance zwischen zu viel Kooperation und zu viel Egoismus zu finden.

Die Empfehlungen im Feld Zeit-Harmonie sind:

  • Durch gezielte Erneuerung Vorteile aus der Zukunft und der Vergangenheit ableiten und
  • Experimente durchführen, um mit Erfahrung heute das Morgen zu gestalten.

Die letzte Empfehlung betrifft die zeitliche Taktung. Sie lautet:

  • Das Tempo vorgeben, um so Übergänge zu synchronisieren und den richtigen eigenen Rhythmus zu finden.

Diese Handlungsempfehlungen haben die Personalführung und Kultur von Google und anderen Digital-Unternehmen geprägt.

 

Innovationsfördernde Personalführung und disruptive Unternehmenskultur

In Digital-Unternehmen hat sich ein spezifischer Führungsstil entwickelt, den man in den USA als „geeky leadership style“ bezeichnet. Der Begriff Geek (oder deutsch Geck) erlebt dabei einen Bedeutungswandel zum Positiven. Diese Form der Personalführung ist kulturprägend. Charakteristisch hierfür sind die folgenden vier kulturellen Normen:15

  • Eine spezifische wissenschaftliche Vorgehensweise (Science)
  • persönliche Verantwortung (Ownership)
  • eine hohe Geschwindigkeit von Iterationen (Speed) und
  • Offenheit (Openness).

Der disruptive Charakter einer solchen Kultur liegt darin, dass sie für etablierte Unternehmen aufgrund von Verhaltensbarrieren schwer zu entwickeln ist. Dies möchte ich kurz erläutern.

Lernprozess Innovationsstrategie

Die auf dem Action Learning und der Design-Theorie basierende wissenschaftliche Vorgehensweise ist auf ein datenbasiertes, lernendes Gestalten gerichtet. Diese Erkenntnisse haben Digital-Unternehmen wie Google frühzeitig genutzt und Infrastrukturen für das Testen von Hypothesen entwickelt. Die Testergebnisse bilden dann den Ausgangsunkt für eine intensive, faktenorientierte Argumentation der Akteure. Demgegenüber beruhen Entscheidungen in etablierten Unternehmen stärker auf den Überzeugungen und der Macht von Führungskräften sowie auf den Meinungen von Experten. Der kulturelle Wandel zu einem stärker wissenschaftlich orientierten Vorgehen kann in etablierten Unternehmen daher Widerstand auslösen, weil die Verantwortlichen einen Bedeutungsverlust befürchten. Die Personalentwicklung an Hochschulen und in der Praxis sollte hier ein bewusstes Gegengewicht schaffen.

Charakteristisch für digitale Start-ups ist eine persönliche Verantwortung der Führungskräfte mit einem höheren Grad an Autonomie, einer Ermächtigung agiler Teams und weniger Koordinationsaufwand. Etablierte Unternehmen kämpfen hingegen oft mit einer zunehmenden Bürokratisierung, bei der viele mitreden dürfen und ihre Macht demonstrieren, indem sie ein Veto einlegen. Auch Microsoft stand vor der Herausforderung, eine Ownership-Kultur zurückzugewinnen, was unter der Führung von Satya Nadella gelungen ist. In der Öffentlichkeit viel diskutiert wird der Versuch des Unternehmens Bayer, Bürokratie mit Hilfe des Humanocracy-Konzepts abzubauen, das der Management-Guru Gary Hamel entwickelt hat.16 Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich dieser Versuch ist.

Eine Wurzel des „geeky leadership styles“ ist das 2001 geschriebene agile Manifest, das die Geschwindigkeit von schnellen Iterationen betont. Etablierte Hardware-orientierte Unternehmen tun sich häufig schwer, dieses bei der Softwareentwicklung entstandene Vorgehen mit ihrem existierenden Produktinnovationsprozess zu verknüpfen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Software z.B. in der Automobilindustrie werden hybride Ansätze immer wichtiger, die die vorhandenen Kompetenzen mit Digitalkompetenz verbinden. Ein Erfolgsindikator hierfür ist, dass die Unternehmen ihre gesetzten Zeitziele erreichen und nicht Opfer des 90-Prozent-Syndroms werden, bei dem die Akteure zu spät merken, dass sie ihre Ziele verfehlen.

Charakteristika der kulturellen Norm Offenheit sind das Teilen von Informationen, Empfänglichkeit für andere Argumente, die Bereitschaft, Situationen neu zu bewerten und die eigene Richtung zu ändern. Das Gegenteil von Offenheit sind weit verbreitete defensive Verhaltensmuster, die der Harvard-Professor Chris Argyris bereits seit den 1980er Jahren als Kennzeichen etablierter Unternehmen beschrieben hat.17 Die negative Konsequenz ist oft, dass die Gemeinschaft diejenigen bestraft, die gegen herrschende Normen verstoßen. Eine Extremform defensiver Verhaltensmuster ist die stillschweigende Duldung unethischer oder strafbarer Aktivitäten. Hingegen erkennt man eine durch Offenheit geprägte Kultur z.B. daran, dass junge Mitarbeitende ihrem Chef in einem internen Meeting offen widersprechen dürfen, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen.

Dieses Beispiel führt uns zu einem Ansatz, wie etablierte Unternehmen die kulturelle Distanz zur digitalen Welt verringern können.

 

Kulturelle Normen anpassen und vorleben

Führungskräfte etablierter Unternehmen haben die Aufgabe, einen individuellen Zugang zu den kulturellen Normen erfolgreicher Digital-Unternehmen zu finden. Dabei kann die Kenntnis der skizzierten theoretischen Grundlagen hilfreich sein. Der Erfolg in der digitalen Welt bedeutet jedoch nicht, dass diese Normen 1:1 auf ein etabliertes Unternehmen übertragbar sind. Sie bedürfen einer Anpassung an die spezifische Situation und an die Rahmenbedingungen des jeweiligen Unternehmens. Nachdem bezüglich dieser situativen Anpassung ein Konsens besteht, kommt es darauf an, dass die Führungskräfte veränderte kulturelle Normen vorleben. Eine wichtige Rolle spielt dann eine entsprechende Personalentwicklung und Beförderungspolitik. Daher ist die Vorstellung von einer schnellen, umfassenden digitalen Transformation unrealistisch. Eine erfolgreiche digitale Neuausrichtung in etablierten Unternehmen verläuft eher als spezifischer, längerfristiger Prozess.18

 

Zusammenarbeit mit Start-ups als eine zu wenig genutzte Chance

Eine Möglichkeit für etablierte Organisationen, von erfolgreichen Digital-Unternehmen zu lernen, besteht in einer verstärkten Zusammenarbeit mit Start-ups. Leider wird diese Chance zu wenig genutzt. So kommt eine Studie des Deutschen Start-up-Monitors zu dem Ergebnis, dass die Kooperation von Konzernen und Mittelständlern mit jungen Unternehmen von 2020 bis 2023 um zehn Prozent zurückgegangen ist. Die Chefin des Start-up-Verbands Verena Pausder sieht in dieser Rückwärtsentwicklung ein Alarmsignal und fördert eine Neuauflage der Partnerkultur.19 Gerade das aktuelle Thema der generativen Künstlichen Intelligenz böte hierzu vielfältige Ansätze. Zwar gibt es eine Reihe von Initiativen, wie die seit 2018 in Ostwestfalen stattfindende Konferenz „Hinterland of Things“, die verschiedenen Akteure vernetzt. Aber insgesamt existiert bei der Gestaltung von Start-up-Ökosystemen noch ein erhebliches Ausbaupotenzial.

 

Fazit

  • Viele der wertvollsten Unternehmen der Welt haben sich in relativ kurzer Zeit von Start-ups zu Digital-Champions entwickelt
  • Zur Beantwortung der Frage, was etablierte Unternehmen hieraus lernen können, haben wir die Entwicklung des strategischen Managements analysiert
  • Im Unterschied zu etablierten Unternehmen haben Digital-Unternehmen in ihren Erfolgsphasen einen Paradigmenwechsel im strategischen Management von mechanistisch zu komplexitätsbewältigend aktiv vorangetrieben
  • Eine wichtige Rolle hat dabei ein Wandel der Personalführung und Kultur gespielt
  • Führungskräfte in etablierte Unternehmen stehen vor der Aufgabe, situativ angepasste kulturelle Normen vorzuleben
  • Dabei sollten sie stärker die Möglichkeit nutzen, mit Start-ups zusammenzuarbeiten

 

Literatur

[1] Sommer, U., KI entfacht Kursfeuerwerk. In: Handelsblatt, 27. Dezember 2023, S.1, 4, 6

[2] Servatius, H.G., Evolution des strategischen Managements. In: Competivation Blog, 28.06.2024

[3] Servatius, H.G., Gestaltung des Innovationssystems von Unternehmen. In: Servatius, H.G., Piller, F.T. (Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Symposion 2014, S. 21-64

[4] Keese, C., Silicon Valley – Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, Knauer 2014

[5] Simon, H.A., The Sciences of the Artificial, 2.Aufl., MIT Press 1981 (1. Aufl.1969)

[6] Kelly T., Kelly, D., Creative Confidence – Unleashing the Creative Potential within us all, William Collins 2013

[7] Marrow, A.J., Kurt Lewin – Leben und Werk, Ernst Klett 1977

[8] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook – A Master Class on Accelerating Perfomance, Getting Results, and Defining the Future, Currency 2019

[9] Bryar, C., Carr, B., Working Backwards – Insights, Stories, and Secrets from Inside Amazon, Macmillan 2021

[10] Servatius, H.G., Vom strategischen Management zur evolutionären Führung – Auf dem Wege zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, Poeschel 1991

[11] Beinhocker, E.D., Die Entstehung des Wohlstands – Wie Evolution die Wirtschaft antreibt, mi-Fachverlag 2007

[12] Lewin, R., Die Komplexitätstheorie – Wissenschaft nach der Chaos-Forschung, Hoffmann und Campe 1993

[13] Stacey R., Tools and Techniques of Leadership and Management – Meeting the Challenge of Complexity, Routledge 2012

[14] Brown, S.L., Eisenhardt, K.M., Competing on the Edge – Strategy as Structured Chaos, Harvard Business Review Press 1998

[15] McAfee, A., The Geek Way – The Radical Mindset That Drives Extraordinary Results, Macmillan 2023

[16] Hamel, G., Zanini, M., Humanocracy – Creating Organizations as Amazing as the People Inside Them, Harvard Business Review Press 2020

[17] Argyris, C., Overcoming Organizational Defences – Facilitating Organizational Learning, Allyn and Bacon 1990

[18] Servatius, HG., Dreifache strategische Neuausrichtung. In: Competivation Blog, 07.06.2024

[19] Müller, A., Schimroszik, N., Mittelstand rückt von Start-ups ab. In: Handelsblatt, 13. Juni 2024, S.22

Evolution des strategischen Managements

Evolution des strategischen Managements

Digital-Unternehmen haben die erste Entwicklungsstufe des markt- und finanzorientierten strategischen Managements mit einer zweiten Stufe verbunden, die durch Technologie und Innovation geprägt ist. Bereits vor der Entstehung des strategischen Managements ist eine solche Konnektivität grundlegender Orientierungen ein Erfolgsfaktor der europäischen Hidden Champions gewesen. In der Fähigkeit zur Verbindung liegt auch gegenwärtig eine Chance für die europäische Industrie, die sich ausgehend von ihren traditionellen Stärken neu in Richtung auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz ausrichten muss.

In diesem Blogpost erläutere ich die Grundlagen und Charakteristika der ersten beiden Entwicklungsstufen des strategischen Managements und gehe auf die Rolle der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) als Game Changer ein.

 

Verbindung von Strategie 1.0 und 2.0

Fast jedes zweite deutsche Unternehmen befürchtet, dass eine Deindustrialisierung des Standorts Deutschlands kaum noch aufzuhalten ist und dieser weiter an Attraktivität verliert. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Nach Meinung der Befragten sei die Lage so schlecht wie schon lange nicht mehr.1

Natürlich ist dies vor allem ein Weckruf an die Politik. Daneben stellt sich aber die Frage, wie Unternehmen ihr strategische Managements an ein verändertes Umfeld anpassen können.

Aufgabe des strategischen Managements als interdisziplinäres Fachgebiet ist es, die Unternehmensentwicklung zu gestalten und neue Herausforderungen zu meistern. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft grundlegend verändert. Die sich daraus ergebende Evolution des strategischen Managements gliedern wir in fünf Entwicklungsstufen.2 Zwischen diesen Stufen gibt es vielfältige Wechselwirkungen und Rückkopplungen. Gegenwärtig von besonderer Bedeutung ist die Verbindung zwischen der Strategie 1.0 und der Strategie 2.0. Eine wichtige Rolle spielen dabei Digital-Unternehmen.3

 

Vier grundlegende Orientierungen

Das strategische Management hat sich seit den 1960er Jahren aus der strategischen Planung entwickelt.4 Bereits lange vorher lag eine Stärke der wenig bekannten europäischen Weltmarktführer in ihrer Verbindung der Technologie-, Innovations-, Markt- und Finanzorientierung. Bis heute sind die vier grundlegenden Orientierungen bei diesem Unternehmenstyp auf spezifische, wissensintensive Geschäftsfelder fokussiert.5 Dies hat zum hohen Ansehen des German Engineering in der Welt beigetragen.

Der Siegeszug der ersten Entwicklungsstufe eines markt- und finanzorientierten strategischen Managements begann hingegen in diversifizierten US-amerikanischen Großunternehmen. Ein wichtiger Nutzen für die Verantwortlichen lag in der integrativen Sicht betrieblicher Funktionen und der Unterstützung von Portfolio-Entscheidungen. In den 1970er Jahren erreichte diese neuen Managementlehre deutsche Großunternehmen. Parallel dazu gewannen Funktionalstrategien an Bedeutung. Die Strategieumsetzung scheiterte aber häufig an einer von der Personalführung nicht bewältigten Komplexität.

Technologie- und Innovationsaspekte spielten in dieser ersten Stufe eine untergeordnete Rolle. Daher war die Verbreitung des strategischen Managements bei europäischen Hidden Champions und im Mittelstand eher gering. Dies hat mich Ende der 1970er Jahre bewogen, mit einer Promotion zum strategischen Technologie-Management zu beginnen. Interessanterweise befand sich in dieser Zeit die US-amerikanische Industrie in einer tiefen Krise.6 In meiner Dissertation habe ich eine ressourcenorientierte Methodik für die Entstehung von Technologiestrategien entwickelt und damit einen Beitrag zur zweiten Entwicklungsstufe eines technologie- und innovationsorientierten strategischen Managements geleistet.7 Dabei war eine wichtige Erkenntnis, dass erfolgreiche Innovationssysteme von Unternehmen aus verbundenen Handlungsfeldern bestehen. Bei deren Gestaltung kommt es auf die Fähigkeit an, die Entstehung und Umsetzung von Strategien mit einer unternehmerischen Kultur zu verbinden.8

In Europa weniger erfolgreich verlaufen ist die Erschließung des Potenzials digitaler Querschnittstechnologien. So waren es letztlich US-amerikanische Start-ups, die im Rahmen von verschiedenen Digitalisierungswellen die erste und die zweite Entwicklungsstufe des strategischen Managements zusammengeführt haben. Auf diese Weise sind die heute wertvollsten Unternehmen der Welt entstanden. Die Abbildung veranschaulicht die vier Orientierungen, die die ersten beiden Entwicklungsstufen des strategischen Managements verbinden.

Lernprozess Innovationsstrategie

Im folgenden möchte ich die Grundlagen und Charakteristika dieser beiden Entwicklungsstufen näher erläutern.

 

Markt- und finanzorientiertes strategisches Management

Die Ursprünge des Strategiebegriffs liegen im militärischen Sektor. Eine frühe Übertragung auf die Wirtschaft erfolgte an der Harvard Business School, wo man 1911 einen Kurs zum Thema Business Policy startete, um eine Klammer für die betriebswirtschaftlichen Funktionslehren zu schaffen. Schwerpunkt der Unternehmenspolitik sind die Themen Vision und Mission.9 Eine weitere Grundlage der ersten Stufe ist der Blick in mögliche Zukünfte, was der Begriff Foresight umschreibt.10 In dieser Entstehungsphase hat das strategische Management allmählich die bis dahin verbreitete Langfristplanung verdrängt.  Allerdings ist das strategische Management nie ein homogenes Konzept gewesen. Relativ früh sind verschiedene Schulen entstanden, die die Vielzahl möglicher Strategieprozesse beschreiben. Dabei ist der analytische Prozess nur eine der Varianten.11

Lernprozess Innovationsstrategie

Im Mittelpunkt der ersten Entwicklungsstufe des strategischen Managements (Strategie 1.0) steht der Fokus auf Wettbewerbsvorteile in Absatzmärkten.12 Das übergeordnete Ziel ist eine Steigerung des Unternehmenswertes für die Anteilseigner.13 Gegen diese dominierende Shareholder-Value-Sicht konnte sich die Stakeholder-Theorie zunächst nicht durchsetzen. Einen starken Einfluss auf die praktische Strategiearbeit hatte die durch Wissenschaftler und Managementberatungen geprägte Positionierungsschule, die die Strategieentwicklung als primär analytischen Prozess betrachtet. Eine populäre Methode ist die aus heutiger Sicht relativ mechanistisch erscheinende Portfolio-Analyse strategischer Geschäftselder.14

Der Hauptkritikunkt an der Strategie 1.0 ist, dass es mit dem primär analytischen Vorgehen allein nicht gelingt, Umsetzungsprobleme zu meistern. Zu einem Scheitern der Strategie-Implementierung tragen die Top-down-Vorgehensweise und die schwierige Harmonisierung von Funktionalstrategien bei. Trotz der Kritik ist diese erste Entwicklungsstufe vor allem in etablierten Großunternehmen lange Zeit weit verbreitet gewesen. Sie steht auch immer noch im Mittelpunkt der Lehre vieler Hochschulen, die zwischen den Fächern strategisches Management und Technologie- und Innovationsmanagement unterscheiden.

 

Technologie- und innovationsorientiertes strategisches Management

Die zweite, technologie- und innovationsorientierte Stufe des strategischen Managements basiert stärker auf Unternehmertum. Daher liefert für eine Strategie 2.0 die Entrepreneurship-Forschung eine wichtige Grundlage.15 In den USA haben die Finanzierung von Start-ups durch Venture Capital16 und das Corporate Venture Management viel früher an Bedeutung gewonnen als in Europa.17 Eine weitere wichtige Grundlage ist die ganzheitliche Designtheorie, die der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Simon geprägt hat.18 Von den betriebswirtschaftlichen Funktionslehren behandeln vor allem das Forschungs- und Entwicklungs-(F&E) Management19 und das Produktionsmanagement20 technologische Themen.

Lernprozess Innovationsstrategie

Seit den 1980er Jahren hat sich die zweite Stufe des strategischen Managements sehr dynamisch in verschiedenen Phasen entwickelt.21 Der Fokus liegt dabei auf Technologien und Innovationsvorteilen. Das Technologie- und Innovationsmanagement integriert klassische Managementaufgaben in einem systemorientierten Ansatz.22 Hervorzuheben ist dabei die Bedeutung der Personalführung, Kultur und Organisation. Die Aufgabe von Innovationsmanagern liegt in der Gestaltung der verbundenen Handlungsfelder des Innovationssystems ihres Untenehmens.23 Diese systemorientierte Betrachtung von Handlungsfeldern bildet für die beteiligten Akteure einen gemeinsamen Rahmen. Die Evolution eines solchen offenen, komplexen Systems ergibt sich aus der Interaktion der Akteure mit ihrem Umfeld. In den letzten Jahrzehnten hat die Bedeutung von neuen Geschäftsmodellen24 und einer innovationsfördernden Kultur25 stark zugenommen. Dabei haben zunächst vor allem Start-ups mit agilen Methoden das Potenzial digitaler Technologien genutzt.26

Aus diesen Start-ups sind die US-amerikanischen Digital-Giganten hervorgegangen, deren Marktmacht teilweise auch kritisch gesehen wird. Für etablierte Unternehmen stellen der digitale Wandel und die damit verbundene Abhängigkeit von IT-Unternehmen eine große Herausforderung dar.27 In der folgenden Abbildung ist die zeitliche Entwicklung des technologie- und innovationsorientierten strategischen Managements zusammengefasst.

Lernprozess Innovationsstrategie

Eine neue Digitalisierungswelle geht von der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) mit großen Sprachmodellen aus, die Produktivitätsvorteile und veränderte Formen der Wissensarbeit ermöglicht. Im Juni 2024 ist der KI-Ausrüster Nvidia kurzfristig das wertvollste börsenorientierte Unternehmen der Welt geworden.28 In dieser aktuellen Welle könnten die Karten zwischen Unternehmen und Wirtschaftsblöcken neu gemischt werden. Es stellt sich die Frage, wie Europa die sich hieraus ergebenden Risiken meistern kann.

 

Die generative KI als Game Changer für Europa

Als wir 2020 unser Buch Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer publiziert haben, war der gegenwärtige Hype um die generative KI noch nicht absehbar. Im letzten Kapitel des Buchs setzen wir uns kritisch mit der europäischen und der deutschen Innovationspolitik auseindander.29 Eine spannende Frage ist, inwieweit die generative KI zu einer erfolgreichen Neuausrichtung der deutschen Wirtschaft beiträgt oder ihren weiteren Niedergang beschleunigt. Beides erscheint möglich. Daher befindet sich unser Land an einem Wendepunkt.

Aus der Erfolgsgeschichte der europäischen Hidden Champions können wir lernen, dass es entscheidend auf eine Verbindung der Sektoren Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sowie der strategischen Handlungsfelder von Unternehmen ankommt. Unsere Empfehlung ist daher zu versuchen, eine Kultur der Verbundenheit zurückzugewinnen. Wichtig wäre es, dass alle Beteiligten einen entsprechenden Mindset entwickeln. Den sollten die Eliten vorleben und hoffen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihrem Beispiel folgen. Die Aus- und Weiterbildung zum Thema Cultural Connectedness kann hierzu einen Beitrag leisten.

 

Fazit

– Der Erfolg von Digital-Unternehmen resultiert aus der Verbindung der ersten und  der zweiten Entwicklungsstufe des strategischen Managements

– Ein Problem der ersten markt- und finanzorientierten Stufe ist die Komplexitätsbewältigung bei der Strategieumsetzung

-Den Digital-Champions gelingt es besser als etablierten Unternehmen, das Potenzial der Informationstechnik zu nutzen und die verbundenen Handlungsfelder ihrer Innovationssysteme erfolgreich zu gestalten

– Mit dem Thema generative Künstliche Intelligenz (KI) hat bei der Verbindung von Strategie 1.0 und 2.0 ein neues Kapitel begonnen

 

Literatur

[1] Höpner, A., „Deindustrialisierung kann kaum noch aufgehalten werden“. In: Handelsblatt, 18.Juni 2024, S.18

[2] Servatius, H.G., Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[3] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[4] Ansoff, I.H., Declerck, R.P., Hayes, R.L. (Hrsg.), From Strategic Planning to Strategic Management, John Wiley 1976

[5] Simon, H., Hidden Champions des 21.Jahrhunderts –  Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Campus 2007

[6] Hayes, R.H., Wheelwright, S.C., Restoring Our Competitive Edge – Competing Through Manufacturing, John Wiley 1984

[7] Servatius, H.G., Methodik des strategischen Technologie-Managements – Grundlage für erfolgreiche Innovationen, Erich Schmidt 1985

[8] Schein, E.H., Organizational Culture and Leadership – A Dynamic View, Jossey Bass 1986

[9] Bleicher, K., Das Konzept Integriertes Management, Campus 1991

[10] Müller, A.W., Müller-Stewens, G., Strategie Foresight –  Trend- und Zukunftsforschung in Unternehmen –  Instrumente, Prozesse, Fallstudien, Schäffer Poeschel 2009

[11] Mintzberg, H., Ahlstrand, B., Lampel, J., Strategy Safari – Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements, Ueberreuter 1999

[12] Porter, M.E., Competitive Strategy – Techniques for Analyzing Industries and Competititors, The Free Press 1980

[13] Rappaport A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, The Free Press 1986

[14] Kirsch, W., Roventa, P. (Hrsg.), Bausteine des Strategischen Managements – Dialoge zwischen Wissenschaft und Praxis, De Gruyter, 1983

[15] Ronstadt, R.C., Entrepreneurship – Text, Cases and Notes, Lord Publishing 1984

[16] Gladstone, D.J., Venture Capital Handbook – An Entrepreneur’s Guide to Obtaining Capital To Start a Business, Buy a Business, Or Expand An Existing Business, Reston Publishing 1983

[17] Servatius, H.G., New Venture Management – Erfolgreiche Lösung von Innovationsproblemen für Technologie-Unternehmen, Gabler 1988

[18] Simon, H.A., The Sciences of the Artificial, 2.Aufl., MIT Press 1981 (1.Aufl. 1969)

[19] Brockhoff, K., Forschung und Entwicklung – Planung und Kontrolle, Oldenbourg 1988

[20] Zäpfel, G., Strategisches Produktionsmanagement, De Gruyter Oldenbourg 2000

[21] Zahn, E. (Hrsg.), Handbuch Technologie-Management, Schäffer-Poeschel 1995

[22] Servatius, H.G., Piller, F.T. (Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Symposion 2014

[23] Servatius, H.G., Dreifache strategische Neuausrichtung, In: Competivation Blog, 07.06.2024

[24] Osterwalder, A., Pigneur, Y., Business Model Generation – A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers, Wiley 2010

[25] Mc Afee, A., The Geek Way – The Radical Mindset That Drives Extraordinary Results, Macmillan Business 2023

[26] Ries, E., The Lean Startup – How Today’s Entrepreneurs Use Continuous Innovation to Create Radically Successful Businesses, Crown Currency 2011

[27] Rogers, D.L., The Digital Transformation Roadmap – Rebuild Your Organization for Continuous Change, Columbia Business School Publishing 2023

[28] Brüntjen, J.S., Narat, I., Maisch, M., Kursbebeben erschüttert Nvidia. In: Handelsblatt, 26.Juni 2024, S.30-31

[29] Kaufmann, T. Servatius, H.G., Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Springer Vieweg 2020, S.203 ff.

Resilienzorientiertes strategisches Management

Resilienzorientiertes strategisches Management

Führungskräfte stehen seit einiger Zeit vor der Herausforderung, eine Reihe extern verursachter Krisen gleichzeitig überwinden zu müssen. Hierzu zählen die Corona-Pandemie, geopolitische Konflikte und Lieferkettenprobleme. Daneben gibt es Krisen als Folge politischer Entscheidungen und interner Versäumnisse. Beispiele sind die hohen Energiekosten, der Fachkräftemangel und Schwierigkeiten beim digitalen Wandel. Dies hat zur vierten Entwicklungsstufe eines resilienzorientierten strategischen Managements geführt. Im Folgenden lernen Sie die Grundlagen und Charakteristika einer solchen Strategie 4.0 kennen.

 

In diesem Blogpost beschreibe ich, wie die notwendig erscheinende Resilienzoffensive in Wirtschaft und Politik gelingen kann.

 

Krisen meistern mit Resilienz

Das vorherrschende Thema auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos war die geopolitische Dauerkrise, die sich aus vielen einzelnen Konfliktherden zusammensetzt.1 In Deutschland nimmt die Kritik an der Regierung zu, und wie auch in anderen Ländern herrscht bei Teilen der Bevölkerung eine Vertrauenskrise, die die Demokratie bedroht.2 In Unternehmen wächst die Skepsis bezüglich der Stabilität der internationalen Beziehungen und der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Es gibt mehr Insolvenzen, weniger Innovationen und in vielen Branchen auch einen Abbau der Beschäftigung.3

Die Frage ist daher, wie Organisationen und die dort arbeitenden Menschen diese neuartige Krisensituation meistern können. Ein Erfolg versprechender Ansatz ist die Verbesserung der Resilienz. Die Grundlagen hierzu sind in verschiedenen Disziplinen entstanden.

 

Grundlagen in verschiedenen Disziplinen

Für ein resilienzorientiertes strategisches Management gibt es bislang kaum Vorbilder. Die Wirtschaftswissenschaften lernen von der Psychologie, wie Organisationen Rückschläge meistern. Dabei versteht man unter Resilienz bei Menschen und in sozialen Systemen die Fähigkeit, Krisen zu überwinden und möglicherweise sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen.

Die Grundlagen für ein resilienzorientiertes strategisches Management kommen aus mehreren wissenschaftlichen Fachbereichen. Ein operatives Resilienzmanagement beschäftigt sich z.B. mit der Bewältigung von Krisen in Lieferketten.4 Für das sogenannte Business Continuity Planning ist ein eigener ISO-Standard enstanden. Die Corona-Pandemie hat zu einer Beschäftigung mit der Frage geführt, was resiliente Gesellschaften auszeichnet.5 In der positiven Organisationspsychologie sind wichtige Erkenntnisse zu den Hauptfaktoren der persönlichen Resilienz entstanden.

Lernprozess Innovationsstrategie

Von diesen in der Abbildung zusammengefassten Grundlagen ist für eine Strategie 4.0 die persönliche Resilienz von besonderer Bedeutung.

 

Hauptfaktoren der persönlichen Resilienz

Der Begründer der positiven Psychologie Martin Seligman und Gabriella Rosen Kellermann von der Coaching-Plattform BetterUp haben in ihrem PRISM-Modell fünf psychologische Kräfte herausgearbeitet, die im 21. Jahrhundert entscheidend für Zufriedenheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz sind.6 Diese Kräfte sind

  • P: Prospektion
  • R: Resilienz
  • I: Innovation und Kreativität
  • S: Soziale Unterstützung und
  • M: Bedeutsamkeit (Meaning and Mattering).

BetterUp hat 150 psychologische Faktoren analysiert und diejenigen identifiziert, die den höchsten Einfluss auf die Resilienz von Menschen haben.

Lernprozess Innovationsstrategie

Ein erster Resilienzfaktor ist die Emotionsregulation. Sie beschreibt die Fähigkeit, flexibel und produktiv mit negativen Emotionen umzugehen. Bewährt hat sich die Zwei-Stufen Methode, die zwischen einer bewussten Verlangsamung und einer kognitiven Neubewertung unterscheidet.

Faktor zwei ist Optimismus. Ein Weg, um auch in schwierigen Situationen optimistisch zu sein, führt über den Ansatz ,,das bestmögliche Selbst“. Dabei visualisiert man sich selbst z.B. in drei Jahren unter der Prämisse, dass alles gut gegangen ist.

Der dritte Faktor ist geistige Beweglichkeit, die einem hilft, bei Problemen realistische Zukunftsentwürfe zu entwickeln. Das Ziel besteht darin, sich mehrere Optionen offen zu halten. Eine solche Situation liegt z.B. vor, wenn man mit seinem Chef nicht klar kommt oder einen die Kultur des eigenen Unternehmens enttäuscht. Für qualifizierte Personen bietet der Arbeitsmarkt heute viele Alternativen.

Ein weiterer Faktor ist Selbstmitgefühl. Darunter versteht man die Fähigkeit, sich selbst in einer schwierigen Lage Mitgefühl entgegenzubringen. Eine typische Situation sind ausbleibende Vertriebserfolge, bei denen man nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen und möglicherweise einen Coach um Unterstützung bitten sollte.

Der wichtige fünfte Resilienzfaktor ist Selbstwirksamkeit im Sinne der Überzeugung, in einem bestimmten Bereich erfolgreich sein zu können. Eng damit verbunden ist Handlungsmacht, also die Überzeugung, künftige Ereignisse beeinflussen zu können.

Die Personalentwicklung hat die Aufgabe, die PRISM-Kräfte und Resilienzfaktoren der Mitarbeitenden zu trainieren. Führungskräfte sollten an ihrer Well-being Intelligenz arbeiten und lernen, ihre spezifischen Kompetenzen zur Steigerung des Wohlbefindens von Teams und Organisationen auch unter schwierigen Rahmenbedingungen zu steigern.7

Auf diesen Grundlagen baut die vierte Entwicklungsstufe eines resilienzorientierten strategischen Managements auf.

 

Strategie 4.0 zur Überwindung von Polykrisen

Der Fokus einer Strategie 4.0 liegt bei der Überwindung von Polykrisen. Den Begriff Polykrise hat bereits in den 1970er Jahren der französische Komplexitätsforscher Edgar Morin geprägt. Man versteht darunter das Zusammenwirken von mehreren Krisen mit schwer vorhersehbaren Verläufen. 2023 hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) das Thema aufgegriffen. Systemanalysen der Wechselwirkungen werden in System Maps dargestellt. Der Übergang von der Analyse zur Ableitung von Maßnahmen steht erst am Anfang. Hier setzt die strategische Resilienz an, die inzwischen zu einem möglichen Wettbewerbsvorteil geworden ist.

Beim Thema Resilienz gibt es jedoch einige Mythen, z.B.8

  • Resilienz sei vor allem ein Supply Chain-Thema, also primär eine operative Aufgabe,
  • die vor allem Kosten verursache und wenig zur Wertsteigerung beitrage.

Unsere Erfahrung aus einer Reihe von Resilienzprojekten zeigt, dass die strategische Bedeutung des Resilienzthemas zunimmt. Ein wichtiger Schritt ist dabei die systematische Krisenanalyse mit einem Resilienz- Portfolio.

 

Krisenanalyse mit einem Resilienz-Portfolio

Eine Krisenanalyse beginnt mit der Identifikation wichtiger Krisen der Vergangenheit und Gegenwart. In einem Resilienz-Portfolio betrachtet man für diese Krisen die Ursachen und Ansätze zur Krisenüberwindung. Bei den Ursachen unterscheidet die Portfolio-Analyse zwischen internen Versäumnissen, externen Auslösern und dem Vorliegen von beidem. Eine Überwindung von Krisen kann bislang nicht gelungen, erfolgreich verlaufen oder sogar zu einer Vorbereitung auf ähnliche Krisen beigetragen haben. Diese Analyse unterstützt ein vertieftes Verständnis der Ursachen und eine Beantwortung der Frage, warum die Krisenüberwindung bislang nicht erfolgreich war. Ein Negativbeispiel ist die Digitalisierungskrise im öffentlichen Sektor, bei der in Deutschland leider noch keine Lösung in Sicht ist.

Lernprozess Innovationsstrategie

Eine anspruchsvolle weiterführende Aufgabe ist die Analyse der Zusammenhänge zwischen Krisen von Organisationen. So besteht z.B. bei der Digitalisierungskrise häufig eine Wechselwirkung zum Fachkräftemängel. Aus derartigen Analysen lassen sich strategische Resilienzprogramme ableiten, die Organisationen gemeinsam mit ihren Stakeholdern starten sollten.

 

Strategische Resilienzprogramme gemeinsam mit Stakeholdern

Zwischen einem resilienzorientierten strategischen Management und anderen sozialen Systemen gibt es komplexe Wechselwirkungen. Die Strategie einer Organisation ist in die Politik auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene eingebettet, die unterschiedliche Resilienzgrade aufweisen kann. Enge Zusammenhänge bestehen zwischen einer resilienzorientierten Politik und einem resilienten Finanzmarkt. Das Gleiche gilt für die Politik und die Gesellschaft. Neben der direkten Wirkung des strategischen Managements beeinflussen auch diese externen Faktoren die Resilienz der Mitarbeitenden. Die Gestaltung von strategischen Resilienzprogrammen ist daher eine extrem anspruchsvolle Aufgabe, die Kompetenz im Umgang mit Komplexität erfordert.

 

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Dabei können Unternehmen auf ihrer Erfahrung im Programm-Management aufbauen. Hierunter versteht man eine zeitlich befristete Managementaufgabe, die in der Planung, Leitung und im Controlling inhaltlich zusammengehöriger Projekte besteht. Von intersektoralen Programmen spricht man bei der Zusammenarbeit von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Trotz seiner aktuellen Bedeutung ist dieses Thema bislang erstaunlich wenig erforscht.

Strategische Resilienzprogramme von Organisationen können von externen Auslösern und internen Versäumnissen ausgehen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind resiliente Führungskräfte und Mitarbeitende. Von geeigneten Formen der Zusammenarbeit mit Stakeholdern sollte eine positive Verstärkung ausgehen. Am Anfang steht die Bündelung wichtiger Resilienz-Initiativen. Auch hierbei hat sich ein agiles Performance Management z.B. mit der Objectives and Key Result (OKR-) Methode bewährt.9

 

Resilienzoffensive bei Smart Metern und der Elektromobilität

Ein Beispiel ist die von Start-ups ausgehende Resilienzoffensive bei intelligenten Stromzählern. Als wir 2011 das Buch Smart Energy herausgegeben haben, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass die Energiewende und der Wandel zu neuen, nachhaltigen Geschäftsmodellen in Deutschland so lange dauern würden.10 Die Europäische Union (EU) hatte 2009 das Ziel ausgegeben, bis 2020 achtzig Prozent der Verbraucher mit Smart Metern auszustatten. Dieses Ziel hat das deutsche Stakeholder-Ökosystem mit seinen Akteuren aus Politik, Behörden und etablierten Energieversorgern weit verfehlt.

Eine Resilienzoffensive starten nun die drei Start-ups Tibber, Octopus Energy und Rabbot Charge, die eigentlich Konkurrenten sind. Ihr Ziel ist, mit Hilfe von intelligenten Stromzählern endlich dynamische Stromtarife zu ermöglichen und so zu einem profitablen digitalen Geschäftsmodell zu kommen. Dabei kooperieren sie mit einem Vermittlerunternehmen, das Kundenanfragen bündelt.11 Das Beispiel zeigt, dass einzelne Akteure auch in einer schwierigen Situation die Handlungsmacht zurückgewinnen können, wenn sie entschlossen vorgehen.

Noch enttäuschender ist die Situation bei der Elektromobilität. Bereits 1994 haben wir nach einem Projekt für einen großen Autohersteller in einer Buchpublikation aufgezeigt, wie der Wandel zu einem nachhaltigen Mobilitätssystem gelingen kann.12 Es dauerte dann aber sehr lange, bis Tesla den etablierten Anbietern vorgemacht hat, wie mit Elektromobilität und Digitalisierung ein erfolgreiches neues Geschäftsmodell umgesetzt wird. Bis 2030 will die Bundesregierung 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen sehen. Aktuell sind es knapp 1,5 Millionen E-Autos. Die Politik, die deutschen Autohersteller und die Zulieferer haben sich auf dem Weg in die Elektromobilität offensichtlich verirrt und brauchen nun eine Resilienzoffensive.13 Wie die Offensive konkret aussehen könnte, ist bislang noch weitgehend offen. Fest steht, dass der nächste Schuss sitzen muss. Das heißt, Elektroautos müssen preiswerter und alltagsfreundlicher werden. Die Hoffnung liegt daher auf einer neuen Generation der Elektromobilität.14 Gleichzeitig sollten sich die politischen Rahmenbedingungen verbessern. Resilienz entsteht somit von innen nach außen und von außen nach innen.

 

Gegenstrom von Inside out- und Outside in-Ansätzen

Eine Lehre aus erfolgreichen Programmen ist, dass die Überwindung von Resilienzdefiziten an zwei Seiten ansetzen muss:

  • Der persönlichen Resilienz, der Resilienz einer Organisation und ihrer Partner (Inside out-Resilienz) sowie
  • der Resilienz der Politik, an den Finanzmärkten und in der Gesellschaft (Outside in-Resilienz).

Aus dem Zusammenwirken der von innen nach außen und von außen nach innen wirkenden Kräfte entsteht eine leistungsfähige Gegenstrom-Resilienz, die einen engen Schulterschluss von Wirtschaft und Politik erfordert.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

Das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war das Ergebnis eines solchen Prozessen. Der Unterschied zu der sich gegenwärtig abzeichnenden schleichenden Deindustrialisierung ist, dass unser Land damals in Schutt und Asche lag. Diese katastrophale Situation hat enorme Resilienzkräfte mobilisiert. Wie auch beim Beispiel von dem Frosch, der sich in einem Topf mit Wasser befindet, das langsam erhitzt wird und der nicht reagiert, scheinen auch wir heute nicht in der Lage zu sein, unsere gemeinsamen Kräfte zu mobilisieren.

Diese Einschätzung der Situation hat zu der Erkenntnis beigetragen, dass unsere Unternehmen dringend die fünfte Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements benötigen.15 Die Hoffnung ist, dass unser Land gestärkt aus der Polykrise hervorgeht. Aber leider ist das Vertrauen vieler Menschen in unsere Institutionen seit einiger Zeit gestört. Eine zentrale Herausforderung beim Übergang von der vierten resilienzorientierten zur fünften Stufe ist, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Das in meinem letzten Blogpost behandelte dialogbasierte Handeln bildet hierfür eine wichtige Grundlage.16

 

Bessere Bewältigung von Komplexität

Das Ziel des resilienzorientierten strategischen Managements ist eine bessere Bewältigung von Komplexität. In den fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements hat sich ein Paradigmenwechsel von mechanistisch zu komplexitätsbewältigend vollzogen. Dieser Wechsel begann Anfang der 1990er Jahre. Den Ausgangspunkt bildeten zwei Erkenntnisse nämlich:17

  • Die Einsicht, dass relativ mechanistische Konzepte, wie z.B. die Portfolio-Analyse, nicht ausreichen, um dauerhafte strategische Erfolge zu erzielen sowie
  • die Anwendung der Evolutionstheorien und der neueren Komplexitätstheorien in Wirtschaft und Politik.

Diese Erkenntnisse haben lange Zeit in der Managementtheorie und -praxis nicht die ihnen gebührenden Bedeutung erlangt.18 Mit der zunehmenden Bedeutung des Themas Resilienz könnte sich dies ändern.

Eine wichtige Rolle spielt dabei eine andere Form der Management- und Politikberatung. Ein solches Impact-Consulting mit positiver Wirkung möchte ich kurz skizzieren.

 

Impact Consulting mit positiver Wirkung

In den vergangenen mehr als hundert Jahren haben sich weitgehend getrennt voneinander zwei unterschiedliche Beratungsansätze entwickelt. Der eine Ansatz ist das klassische Management Consulting, das betriebswirtschaftlich-, technisch-, IT- und juristisch-orientiert sein kann. Der Fokus liegt dabei auf Inhalten. Daher spricht man von einer Fachberatung. Beispiele hierfür sind die Themen Strategie, Wachstum, M&A, Kostensenkung, Geschäftsprozesse und Sanierung. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Skandale, in die große Consulting- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen verwickelt sind, hat die Kritik an deren Geschäftsmodellen zugenommen.19

Der zweite Beratungsansatz ist die Organisations-, Führungskräfte- und Personalentwicklung. Dieser Ansatz ist organisationspsychologisch orientiert. Als Wurzel gilt das in den 1940er Jahren entstandene Action Research, das von dem aus Deutschland in die USA emigrierten Psychologie-Professor Kurt Lewin begründet wurde.20 Der Fokus liegt hier auf Menschen in sozialen Systemen. Man spricht daher von einer Verhaltensberatung. Beispiele sind die Themen lernende Organisation, Change Management und positives Business Coaching. Leider ist es häufig schwierig, mit diesen Konzepten den Zugang zu Top-Managern und Politikern zu finden, da die Führungsebenen meist wenig organisationspsychologisch geschult sind. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) im Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, dass Weiterbildungsprogramme für eine große Anzahl von Mitarbeitenden immer wichtiger werden.21

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Eine Synthese dieser beiden Ansätze ist das Impact Consulting mit positiver Wirkung. Diese Synthese ist stärker interdisziplinär orientiert. Sie verbindet die Fachberatung mit der Verhaltensberatung. Der Fokus liegt auf einer Bewältigung neuer, komplexer Herausforderungen. Hierin besteht die positive Wirkung einer solchen Synthese, denn bei Themen wie Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz ist die Wirkung des klassischen Management Consulting häufig eher gering oder sogar negativ. Die Ursache hierfür ist, dass viele Consultants organisationspsychologische Aspekte ausblenden.

Ein interessantes KI-basiertes Werkzeug zur Messung der positiven Wirkung von Führungskräften hat die Universität Oxford gemeinsam mit der Kommunikationsberatung Kekst CNC entwickelt. Dieser Executive Impact Score (EIS) analysiert die Kommunikation von Führungskräften und gibt Anregungen, wie diese z.B. ihre Erläuterung von innovativen Strategien verbessern können.22 Dabei sind das Sprachtempo und die richtige Balance zwischen Informationen und Emotionen wichtige Erfolgsfaktoren. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Kommunikation mit unterschiedlichen Stakeholdern, bei der es auf Glaubwürdigkeit und Authentizität ankommt.

In unserer Begleitforschung zum Impact Consulting, das wir seit langem praktizieren, untersuchen wir, wie der EIS und andere innovative Konzepte die Wirkung von Beratungs- und Personalentwicklungsprogrammen verbessern. Hieraus ergeben sich wichtige Impulse für die Gestaltung zukünftiger Karrierepfade23. Bereits heute ist absehbar, dass die Bedeutung des Themas Resilienz weiter zunehmen wird.

 

 

Zunehmende Bedeutung von Resilienz

Einer der Gründe für die zunehmende Bedeutung von Resilienz ist, dass trotz des Fachkräftemangels viele Unternehmen vor allem im Mittelmanagement massiv Stellen abbauen. Häufig passt das Qualifikationsprofil der frei werdenden Mitarbeitenden aber nicht zu den Anforderungen in den Bereichen die Personal suchen. Aufgrund der rasanten Entwicklung bei großen Sprachmodellen wie ChatGPT beschleunigt sich diese Entwicklung gegenwärtig.24 Die mögliche Antwort sind systematische Umschulungen, die auch öffentlich gefördert werden. Bei einem solchen Reskilling sind die Anforderungen an die Resilienz der Betroffenen jedoch erheblich.25

Neben der Resilienz vom Einzelnen nach außen die Resilienz von der Politik nach innen immer wichtiger. Große europäische Unternehmen fordern von der EU verbesserte Rahmenbedingungen für die Industrie. Ein zehn Punkte umfassender Industrial Deal soll den Green Deal ergänzen, um hochwertige Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Kernpunkt ist die Korrektur von bremsenden Regulierungen auf der EU-Ebene, die weniger widersprüchlich und komplex gestaltet sein sollten.26 Es bleibt abzuwarten, ob eine neue EU-Kommission diese Forderungen erfüllt.

 

Fazit

  • Die zahlreichen Krisen der letzten Jahre haben zur Entstehung der vierten Entwicklungsstufe eines resilienzorientierten strategischen Managements geführt
  • Eine der Grundlagen für diese Strategie 4.0 liefert die positive Organisationspsychologie
  • Die verbesserte Resilienz von Menschen in sozialen Systemen ist inzwischen zu einem wichtigen strategischen Wettbewerbsvorteil von Organisationen und Staaten geworden
  • Ausgehend von einer Krisenanalyse sollten Führungskräfte ihre Fähigkeiten zur Durchführung von strategischen Resilienzprogrammen gemeinsam mit relevanten Stakeholdern verbessern. Eine Herausforderung dabei ist die Komplexitätsbewältigung
  • Neue Formen eines Impact Consulting verbinden die Fachberatung mit einer Verhaltensberatung und erzielen so eine positive Wirkung

 

Literatur

[1] Brown, G, El-Erian, MA, Spence, M: Permacrisis – A Plan to Fix a Fractured World, Simon & Schuster 2023

[2] Lobo, S: Die große Vertrauenskrise – Ein Bewältigungskompass, Kiepenheuer & Witsch 2023

[3] Sommer, U, Bei den Unternehmen wächst die Skepsis. In: Handelsblatt, 27.Dezember 2023, S. 20-21

[4] Sheffi, Y: The Power of Resilience – How the Best Companies Manage the Unexpected, The MIT Press 2015

[5] Brunnermeier, MK : Die resiliente Gesellschaft – Wie wir künftige Krisen besser meistern können, Aufbau 2021

[6] Rosen Kellerman, G, Seligman, M: Tomorrowmind – Thriving at Work with Resilience, Creativity and Connection, Atria Books 2023

[7] Rhoulet, T, Bhatti, K : Well-being Intelligence – A Skillset for the New World of Work. In: MIT Sloan Management Review, 13. April 2023

[8] Reeves, M, O’Dea, A, Carlsson-Slezak, P: Make Resilience Your Company’s Strategic Advantage. In: Harvard Business Review, 25. März 2022

[9] Doerr, J. Measure What Matters – How Google, Bono, and the Gates Foundation Rock the World with OKRs, Bennet Group 2018

[10] Servatius, HG, Schneidewind U, Rohlfing D (Hrsg): Smart Energy – Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem, Springer 2011

[11] Krapp, C: Start-ups starten Initiative für Smart Meter. In: Handelsblatt, 17. Januar 2024, S. 24

[12] Berger, R, Servatius, HG, Krätzer, A: Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance, Piper 1994

[13] Freitag M, Hucko M: Die Verzweifelten. In: Manager Magazin, Februar 2024, S. 20-26

[14] Backovic, L et al.: ,,Die Dinger stehen wie Blei“ In: Handelsblatt, 19./20./21. Januar 2024, S. 46-50

[15] Servatius, HG: Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[16] Servatius, HG: Management Education 5.0 zu einem dialogbasierten Handel. In: Competivation Blog, 13.01.2024

[17] Servatius, HG: Vom Strategischen Management zur Evolutionären Führung – Auf dem Wege zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, C. E. Poeschel 1991

[18] Brown, SL, Eisenhardt, KM: Competing on the Edge – Strategy as Structured Chaos, Harvard Business Review Press 1998

[19] Mazzucato, M, Collington, RH: Die große Consulting-Show – Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt, Campus 2023

[20] Krizanits, J: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung, Carl-Auer 2013

[21] Servatius, HG: Generative KI und ein Mass Customized Action Learning. In: Competivation Blog, 28.08.2023

[22] Riecke, T: Wie Manager KI für bessere Reden einsetzen können. In: Handelsblatt, 18. Januar 2024, S.33

[23] Merten, M et al.: Gesucht – Die Vorstandsformel. In: Handelsblatt, 2./3./4. Februar 2024, S. 46-50

[24] Buchenau, M et al.: Und raus bist du! In: Handelsblatt, 16./17./18. Februar 2024, S. 46-50

[25] Telser, F: In fünf Schritten zum KI-Experten. In: Handelsblatt, 20. Februar 2024, S. 22

[26] Fröndhoff, B et al.: Industriepakt für Europa. In: Handelsblatt, 20. Februar 2024, S.1, 4-5

Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosystemen

Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosystemen

Der weltweite Wettbewerb bei wichtigen Zukunftsthemen wie der Wasserstoffwirtschaft findet zunehmend zwischen Stakeholder-Ökosystemen statt. Das Systemic Design ist ein relativ neuer methodischer Ansatz für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Stakeholdern aus verschiedenen Sektoren.

 

In diesem Blogpost beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Deutschland in der Stakeholder Economy seine Zukunft als Industrienation sichern kann.

 

Erfolgreich mit einer dezentralen Wirtschaftsstruktur?

Mit einem verschwindend geringen Anteil an den wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt und der relativ großen Zahl innovativer Familienunternehmen steht Deutschland aufgrund seiner dezentralen Wirtschaftsstruktur bei der Erschließung wichtiger Zukunftsthemen vor einer besonderen Herausforderung.1 Die Frage ist, wie es mit Hilfe einer intelligenten Zusammenarbeit von Stakeholdern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gelingt, die großen Herausforderungen bei der Digitalisierung, dem Klimawandel und der Krisenbewältigung zu meistern.

Eines der Felder, bei dem die Gestaltung von innovativen Stakeholder-Ökosysteme eine entscheidende Rolle spielt, ist die Wasserstoffwirtschaft.

 

Zusammenarbeit der Stakeholder einer Wasserstoffwirtschaft

Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen ist die Bedeutung einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft für die Erreichung der Klimaschutzziele, die Diversifizierung von Energieimporten und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit weiter gestiegen. Darauf hat der Nationale Wasserstoffrat in seinem Eckpunkte-Papier zur Überarbeitung der deutschen Wasserstoffstrategie hingewiesen und ein Maßnahmenbündel beschrieben. Dieses besteht aus den Punkten:2

  • Schaffung eines Zertifizierungs- und Handelssystems
  • Auf- und Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur
  • Hochlauf der Verfügbarkeit von klimaneutralem Wasserstoff und seinen Derivaten
  • Schaffung eines Förderrahmens zum Aufbau von Absatzmärkten sowie
  • Forschung und Entwicklung mit Fokus auf großzahlige Demonstrationsprojekte.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordert jedoch eine verbesserte Zusammenarbeit der Stakeholder. Dabei stehen Deutschland und Europa in einem harten internationalen Wettbewerb. In den USA setzt man auf ein Infrastrukturpaket in Höhe von 9,5 Milliarden Dollar, umfangreiche Steuerrabatte und eine anwendungsorientierte Innovationsförderung. In Europa streiten die EU-Kommission und das -Parlament über die Frage, wann Wasserstoff als grün eingestuft werden darf.

Die entstehende Wertschöpfung für klimaneutralen Wasserstoff ist komplex und fragmentiert. Sie besteht aus den Stufen:

  • Erzeugung von erneuerbaren Energien
  • Wasserstoff-Produktion
  • Wasserstoff-Distribution und -Speicherung sowie
  • Wasserstoff-Anwendungen im Transportsektor und in der Industrie.

Trotz der gegenwärtig noch zu hohen Kosten erwarten Experten der Boston Consulting Group für die H2-Infrastruktur 2050 ein Markpotenzial von insgesamt rund 200 Milliarden Dollar. Der größte Anteil von 80-90 Milliarden Dollar entfällt dabei auf die verschiedenen Anwendungen.3 Zur Erschließung dieses Marktpotenzials kooperieren verstärkt Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Staaten. Sogenannte Business Ecosystems mit klar erkennbaren Orchestrierern sind aber erst in Ansätzen vorhanden.

 

Stakeholder-Ökosysteme als Weiterentwicklung von Business Ecosystems

Unter dem Begriff Stakeholder-Ökosystem verstehen wir das komplexe Zusammenwirken von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in Handlungsfeldern wie der nachhaltigen Produktion und Anwendung von Wasserstoff. Stakeholder-Ökosysteme sind ein zentraler Baustein der fünften Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements.4 Eine solche Strategie 5.0 verknüpft die früheren Entwicklungsstufen einer Markt-, Innovations-, Nachhaltigkeits- und Resilienzorientierung. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind dabei spezifische konnektive Fähigkeiten, die Stakeholder verbinden.

Wir sehen in Stakeholder-Ökosystemen eine Weiterentwicklung des Anfang der 1990er Jahre von James Moore beschriebenen Konzepts der Business Ecosystems,5 in denen ein zentraler wirtschaftlicher Akteur eine orchestrierende Rolle übernimmt.6 Bei der begrifflichen Analogie zu biologischen Ökosystemen ist jedoch zu bedenken, dass in diesen die Evolution selbstorganisiert abläuft und ein zentraler Orchestrierer fehlt. Es stellen sich daher die Fragen, ob eine solche Rolle in Stakeholder-Ökosystemen erforderlich ist und wie sie gestaltet sein könnte.

 

Neue Herausforderungen in der Stakeholder Economy

Bei der Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen gibt es zwei große Herausforderungen:

  1. Die Schaffung eines erfolgreichen Wirtschaftsökosystems und die Orchestrierung der beteiligten Unternehmen sowie
  2. die Bewältigung der Komplexität beim Zusammenwirken von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Analysen des BCG Henderson Instituts zeigen, dass nur 15 Prozent der untersuchten Business Ecosystems dauerhaft erfolgreich sind. Dabei entstehen 85 Prozent der Fehler beim Design eines solchen Systems und nur 15 Prozent bei dessen Umsetzung. Die häufigste Fehlerursache ist ein schlecht gewähltes Governance-Modell z.B. bei der Wahl des richtigen Grades an Offenheit.7

Bislang existiert keine vergleichbare Analyse von Fehlern und Barrieren für Stakeholder-Ökosysteme. Die praktische Erfahrung legt jedoch die Vermutung nahe, dass auch hier die Erfolgsquote gering ist. Eine verbreitete Fehlerursache sind unterschiedliche Ziele und Defizite bei der Zusammenarbeit der Stakeholder.

Die beiden genannten Herausforderungen sind parallel zu bewältigen. Wie die folgende Abbildung verdeutlicht, kann es dabei zu gesellschaftlich und politisch sowie wirtschaftlich induzierten Fehlern und Barrieren kommen. Für beide Fälle gibt es eine Reihe praktischer Beispiele.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Als wir 1994 nach einem Beratungsprojekt für ein großes deutsches Automobilunternehmen in einem Buch die Chancen eines gemeinsamen ökologischen Umsteuerns von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft aufgezeigt haben,8 blieb dieser Weckruf lange ungehört, bis Tesla die Branche revolutionierte.

Ein Beispiel für wirtschaftlich induzierte Fehler ist auch das Scheitern der deutschen Solarenergie-Branche. Mit Hilfe einer massiven öffentlichen Förderung hat es in der Entstehungsphase zwar Erfolge der beteiligten Unternehmen gegeben, die dann aber nicht dem Angriff asiatischer Stakeholder-Ökosysteme standgehalten haben.

Beispiele für gesellschaftlich und politisch induzierte Fehler sind in Deutschland zahlreich. Von der frühen Phase der Biotechnologie bis zum flächendeckenden Einsatz von Smart Metern als wichtigem Element intelligenter Energiesysteme sind diese Felder über einen längeren Zeitraum an einem im Vergleich zu anderen Ländern höheren Risikobewusstsein gescheitert. Die wirtschaftlich und gesellschaftlich wohl größten Auswirkungen für Deutschland wird das aus Gründen des Klimaschutzes von der Politik verordnete Ende des Antriebs von Automobilen mit Verbrennungsmotor haben. Ob diese Entscheidung richtig oder falsch war, hängt stark davon ab, wie man die Nachhaltigkeitsdimensionen Umwelt, Wirtschaft und Soziales priorisiert.

Ein Beispiel für das Zusammenwirken von politisch und wirtschaftlich induzierten Fehlern mit noch offenem Ausgang ist der Übergang zur Elektromobilität. Ein Negativ-Szenario mit einem Scheitern dieses Stakeholder-Ökosystems hätte für die deutsche Wirtschaft fatale Folgen. Besorgniserregend sind hier die trotz massiver Subventionen der Antriebstechnologie vorhandenen Schwierigkeiten beim Aufbau einer kundenfreundlichen Ladeinfrastruktur und das fehlende Angebot von preiswerten Fahrzeugen.

Eine wichtige Rolle bei der Überwindung derartiger Fehler könnten die Wirtschaftsverbände spielen. So fordert Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), angesichts des knallharten internationalen Standortwettbewerbs eine Politik, die die Stärken unserer Industrienation fördert, neue Märkte eröffnet, auf Innovationen setzt und so Wohlstand und Wachstum sichert.9

Ebenfalls noch offen ist der Ausgang in anderen wichtigen Zukunftsfeldern wie der Anwendung von Künstlicher Intelligenz und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in energieintensiven Branchen. Diese Beispiele zeigen, wie wichtig es wäre, die Kompetenz bei der gemeinsamen Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen zu erhöhen.

Dass es dabei stark auf individuelle Initiative ankommt, zeigt eine der jüngeren Erfolgsgeschichten: Die Entwicklung eines erfolgreichen Corona-Impfstoffs durch das in Mainz gegründete und von erfahrenen Unternehmern mit der notwendigen Finanzkraft ausgestattete Start-up-Unternehmen BioNTech, dessen Wurzeln in der Grundlagenforschung liegen. Zu diesem Erfolg hat dann sicherlich auch die Allianz mit dem großen Pharma-Konzern Pfizer beigetragen.

 

Suche nach einem geeigneten Ansatz

In den letzten Jahren haben wir nach einem geeigneten Ansatz gesucht, mit dessen Hilfe man die Akteure in Stakeholder-Ökosysteme bei der Komplexitätsbewältigung unterstützen kann. Der Ausgangspunkt dieser Suche ist die Erkenntnis gewesen, dass weder die klassischen Stakeholder-Dialoge noch Autogipfel mit dem Kanzler ausreichen, um die skizzierten Herausforderungen zu bewältigen. Auch die bundeseigene Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND) hat bislang die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.10

Diese Suche hat uns zu dem von verschiedenen akademischen Gruppen in Oslo, Toronto und Turin entwickelten Konzept des Systemic Designs geführt. Den Ausgangspunkt hierfür bildete ein von Birger Sevaldson 2012 an der Oslo School of Architecture and Design initiiertes Expertentreffen, aus dem das Forschungsnetzwerk Systemic Design Association (SDA) hervorgegangen ist.

 

Möglicher Nutzen des Systemic Designs

Das Systemic Design verbindet Systemdenken mit einem Lösungsdesign bei komplexen Herausforderungen.11 Bei der Anwendung als Gestaltungsansatz für multisektorale Stakeholder-Ökosysteme haben sich ein Mehrphasen-Prozess und ein Methoden-Baukasten bewährt. Dabei liegt der mögliche Nutzen vor allem darin, dass Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft über ein gemeinsames Vorgehensmodell verfügen, was die Zusammenarbeit erleichtert. Obwohl sich der Ansatz weltweit zunehmender Beliebtheit erfreut, ist er bei deutschen Managern und Politikern noch relativ unbekannt. Diese Situation erinnert an das bereits Ende der 1950er Jahre an der Stanford University entwickelte Design Thinking, dessen Verbreitung in Deutschland auch erst viel später erfolgt ist.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Der Bedeutungszuwachs des Systemic Design wird von den großen Themen Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz getrieben. Die Komplexität bei der Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen liegt in der Überwindung von politisch-gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Barrieren. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Stakeholder ihre Silostrukturen verlassen und sich auf eine Zusammenarbeit einlassen. Moderatoren solcher Prozesse sollten neben der Methodenkompetenz über Anschlussfähigkeit bei den jeweiligen Fachthemen verfügen. In der Vergangenheit hat ein hierzu geeigneter Ansatz lange Zeit gefehlt. Außerdem ist es nicht einfach gewesen, radikale Technologiegegner in Stakeholder-Prozesse einzubeziehen. Dies wird am Beispiel der Biotechnologie deutlich.

 

Innovationshemmnisse und fehlender Ansatz bei Biotechnologie-Stakeholdern

Bereits Ende der 1980er Jahre habe ich mich im Rahmen eines vom damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) geförderten Beratungsprojekts mit der Frage beschäftigt, wie es gelingt, Innovationshemmnisse bei der Anwendung der Biotechnologie im Gesundheitssektor abzubauen. Die Aufgabe unserer Studie bestand darin, das relevante Stakeholder-Ökosystem und die komplexen Zusammenhänge zwischen Innovationsprozess, Innovationspolitik und fehlender öffentlicher Akzeptanz zu analysieren.12 Leider ist es der Politik nicht gelungen, unsere Empfehlung, intersektorale Programme mit gemeinsamen Lernprozessen zu verbinden, konsequent umzusetzen.

Die Erkenntnisse aus diesem und einer Reihe anderer Projekte sind dann in meine 1991 erschienene Habilitationsschrift eingeflossen.13 Darin behandele ich den notwendigen Paradigmenwechsel von einem eher mechanistischen strategischen Management zu einer komplexitätsbewussten evolutionären Führung. Möglicherweise wäre es in den folgenden Jahren nicht zu einem Rückgang biotechnischer Innovationen bei deutschen Pharma-Unternehmen gekommen, wenn es schon einen Ansatz wie das Systemic Design gegeben hätte.

 

Mehrphasen-Prozess und Methoden-Baukasten

Ein mögliches praktisches Vorgehen bei Systemic Design-Projekten beschreiben Peter Jones und Kristel Van Ael, die an Hochschulen von Toronto und Antwerpen lehren. Sie gliedern den Systemic Design-Prozess in sieben Phasen und ordnen diesen Phasen fünf verschiedene Workshop-Stile zu. Ihr neues Buch behandelt dreißig Methoden, die Projektteams in den Phasen einsetzen können.14

Eine praktische Herausforderung liegt bei der Anwendung der Methoden, die in einem Projekt zum Einsatz kommen sollen. In Anlehnung an die Arbeitsteilung bei Scrum-Projekten bietet es sich an, einen Themen-Verantwortlichen, einen Systemic Design-Master und ein Stakeholder-Team zu benennen. Dabei hat der Systemic Design-Master die Aufgabe, aus dem umfangreichen Methoden-Baukasten die passenden Werkzeuge auszuwählen und das Team zu schulen.

In der Abbildung sind die Phasen und Workshop-stile dargestellt. Im Folgenden erläutern wir diese kurz.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Das Ziel in der ersten Phase ist es, das System in einen Rahmen einzubetten. Dies erfolgt in Framing-Workshops, in denen das Projektteam – bildlich gesprochen – einen Reiseplan erarbeitet und die folgenden Fragen beantwortet:

  • Was sind die Systemgrenzen und wer sind wichtige Akteure?
  • Warum sind Veränderungen erforderlich, welche Innovationsmöglichkeiten gibt es und von wem gehen die aus?

So entsteht eine gemeinsame Sichtweise der zu bewältigenden Aufgabe.

In den Phasen zwei und drei geht es darum, in das System hineinzuhören, um es besser zu verstehen. Hierzu eignen sich Analyse- und Sensemaking-Workshops. Wichtige Fragen sind:

  • Wie lässt sich das Verhalten der Stakeholder beschreiben und wie erleben sie das System?
  • Wie sind wichtige Strukturen und Prozesse entstanden und welche Interessen verfolgen die Stakeholder?
  • Wie wirken diese Faktoren zusammen?

Dabei ist mit Sensemaking gemeint, wodurch das System einen Sinn ergibt.

Das Ziel von Phase vier ist es dann, sich eine erwünschte Zukunft vorzustellen. Zu einer solchen Neuausrichtung eignen sich Reframing-Workshops. Die zu beantwortenden Fragen sind:

  • Worin besteht das Wertversprechen eines neugestalteten Systems für die Stakeholder kurz-, mittel- und langfristig?
  • Welche Barrieren sind dabei zu überwinden und wie könnte ein neues Gesamtbild aussehen?

Die Präsentation dieses Zwischenergebnis erfolgt am besten in Form einer visualisierten Geschichte.

Hierauf aufbauend besteht das Ziel der Phasen fünf und sechs darin, den Möglichkeitsraum genauer zu erkunden und den Veränderungsprozess zu planen. Diese gemeinsame Gestaltungsaufgabe erfolgt in Co-Design-Workshops. Wichtige Fragen sind:

  • Was sind mögliche Zukunftsszenarien, Interventionsstrategien und deren Ergebnisse?
  • Wie sieht eine Blaupause für den Wandel mit einem entsprechenden Prozess aus?
  • Wie bereit sind die Stakeholder für einen solchen Wandel und gibt es hierfür ein Governance-Modell?

Die Erfahrung aus komplexen Veränderungsprojekten zeigt, dass dabei immer mit Widerständen zu rechnen ist.

Ziel der siebten Phase ist es schließlich, ein konkretes Vorgehen festzulegen. Dies erfolgt in Roadmapping-Workshops. Fragen hierbei sind:

  • Wie gelingt es, die Stakeholder zu ersten gemeinsamen Schritten zu bewegen und von da aus die angestrebten Ergebnisse zu skalieren?
  • Wie könnte sich das Modell der Zusammenarbeit weiterentwickeln?

Insgesamt erfordert der Systemic Design-Ansatz eine hohe Methodenkompetenz und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit über Sektorgrenzen hinweg.

 

Methodische Light-Version und Gliederung in Aufgabenpakete

Bei der Anwendung von Systemic Design-Methoden besteht die Herausforderung darin, die meist an schnellen Ergebnissen interessierten Praktiker nicht zu überfordern. Methoden sind Hilfsmittel und sollten nicht zum Selbstzweck werden. Für die Workshop-Moderatoren bedeutet dies, dass sie die richtige Mischung aus Fach- und Methodenkompetenz finden müssen. Mit dem Methoden-Baukasten von Jones und van Ael steht hierfür ein breites Angebot zur Verfügung. In Projekten mit Managern und Politikern ist aber zu berücksichtigen, dass diese im Gebrauch der Methoden meist nicht geschult sind. Daher kann eine Light-Version des Systemic Designs sinnvoll sein, bei der die Anforderungen an die Methodenkompetenz geringer sind.

Außerdem hat sich bei der Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen eine Gliederung in Aufgabenpakete bewährt, die jeweils einzelne Akteursgruppen bearbeiten.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Dabei stehen die folgenden vier Fragen im Mittelpunkt:

  1. Wie sieht in einem Innovationsfeld, wie z.B. der Wasserstoffwirtschaft, die Strategie für ein Wirtschaftsökosystem aus?
  2. Wie lassen sich z.B. durch eine gezielte Kommunikation mit den relevanten Ministerien die politischen Rahmenbedingungen verbessern?
  3. Welche Formen der öffentlichen Innovationsförderung z.B. von Forschungseinrichtungen sind erfolgversprechend und
  4. Wie können z.B. angesichts der Risiken undichter Wasserstoff-Leitungen Innovationswiderstände in der Gesellschaft abgebaut werden?

Auf diese Weise verringert sich die Komplexität und man muss nicht immer alle Stakeholder gemeinsam an einen Tisch bringen.

 

Verbindung verschiedener Denkschulen und Kulturen

In unserer praktischen Arbeit integrieren wir die Gestaltung von Stakeholder-Ökosystemen in die Strategie- und Innovationsprozesse der relevanten Organisationen. Die Umsetzung wird durch ein agiles Performance Management unterstützt. Hierbei hat sich die Objectives and Key Results (OKR-) Methode bewährt.15 Diese Verbindung verschiedener Denkschulen und die erforderlichen konnektiven Fähigkeiten sind wichtige Kennzeichen der fünften Entwicklungsstufe des strategischen Managements.

Ein Beispiel liefert das Innovationsfeld Biokonvergenz, in dem Künstliche Intelligenz, Nano- und Biotechnologie verschmelzen. Belén Garijo, die Vorsitzende der Geschäftsführung von Merck glaubt, dass die Europäische Union bei dieser Innovationswelle die Chance habe, eine Führungsposition zu übernehmen. Dabei sei die Fähigkeit wichtig, Experten und Organisationen aus unterschiedlichen Bereichen und Kulturen auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Ein Vorteil wären gemeinsame Werte und kulturelle Vielfalt. Akzeptanz in der Gesellschaft könne man mit Hilfe klarer ethischer Rahmenbedingungen erreichen.16

 

Fazit

  • Die Fähigkeit zur Gestaltung erfolgreicher Stakeholder-Ökosysteme entscheidet mit darüber, welche Länder den Wettbewerb bei wichtigen Zukunftsthemen gewinnen
  • In Deutschland gilt es viele Beispiele dafür, dass die Zusammenarbeit von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft bei Zukunftsthemen in der Vergangenheit nicht optimal funktioniert hat
  • Einen wichtigen Beitrag zur Komplexitätsbewältigung bei der Zusammenarbeit der Akteure können verbindende Methoden und Kompetenzen leisten
  • Ein hierzu entwickelter, aber in Deutschland noch wenig genutzter Ansatz ist das Systemic Design. Unsere bisherigen Erfahrungen bei der Anwendung in Stakeholder-Ökosystemen zeigen, dass hierbei eine methodische Light-Version und eine Gliederung in Aufgabenpakete besser umzusetzen sind

 

Literatur

[1] Sommer, U.: Zu schwach für die erste Liga. In: Handelsblatt, 27. Dezember 2022, S. 8-9

[2] Nationaler Wasserstoffrat (Hrsg.): Eckpunktepapier zur Überarbeitung der Nationalen Wasserstoffstrategie, ohne Datum, https://www.wasserstoffrat.de/fileadmin/wasserstoffrat/media/Dokumente/2022/2022-06-30_NWR-Eckpunktepapier_UEberarbeitung_NWS.pdf (abgerufen am 10.01.2023)

[3] Ludwig, M., et al.: The Green Tech Opportunity in Hydrogen, 12. April 2021, https://www.bcg.com/publications/2021/capturing-value-in-the-low-carbon-hydrogen-market (abgerufen am 10.01.2023)

[4] Servatius, H.G.: Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[5] Moore, J.F.: The Death of Competition – Leadership and Strategy in the Age of Business Ecosystems, Chichester 1996

[6] Reeves, M., Pidun, U. (Hrsg.): Business Ecosystems, Berlin 2022

[7] Pidun, U., Reeves, M., Schüssler, M.: Why Do Most Business Ecosystems Fail? In: Reeves/Pidun (Hrsg.), a.a.O., S. 35-46

[8] Berger, R., Servatius, H.G., Krätzer, A.: Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance, München 1994

[9] Müller, H.: Mehr Kraft für den Standort D. In: Handelsblatt, 30./31. Dezember 2022, 1. Januar 2023, S. 22

[10] Gillmann, B.: Deutschlands Chef-Innovator auf der Suche nach Disruption. In: Handelsblatt, 27. Dezember 2022, S. 12-13

[11] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.): Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[12] BMFT (Hrsg.): Abbau von Innovationshemmnissen im staatlich beeinflussten Bereich im Technologiefeld Biotechnologie, Köln 1989

[13] Servatius, H.G., Vom strategischen Management zur evolutionären Führung – Auf dem Wege zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, Stuttgart 1991, S.305 ff.

[14] Jones, P., Van Ael, K.: Design Journeys through Complex Systems – Practice Tools for Systemic Design, Amsterdam 2022

[15] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020, S. 56 ff.

[16] Garijo, B.: Mit Biokonvergenz in die Zukunft. In: Handelsblatt, 6./7./8. Januar 2023, S. 18

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

In den verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische Konnektoren entstanden, die die Aufgaben von Führungskräften verbinden. Die Komplexitätsbewältigung bei Nachhaltigkeitsinnovationen erfordert neue Formen der Konnektivität.

 

In diesem Blogpost erläutern wir die zunehmende Bedeutung eines gemeinsamen Designs von Stakeholder-Systemen für sektorübergreifende Innovationsprogramme von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Green Transition der BASF

Der Chemiekonzern BASF plant einen Systemwechsel, bei dem das Unternehmen fossile Rohstoffe durch biobasierte ablösen möchte. Außerdem soll die Prozessenergie aus grünem Strom statt aus Gas kommen. Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung von CO2-freien Verfahren sowie der weitere Ausbau einer Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung. Das Ziel ist, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren.1 Für diesen Umbau der BASF passt der Begriff Green Transition. Allerdings muss sich hierzu in Deutschland die Versorgungslage mit erneuerbaren Energien verbessern.

Das Beispiel zeigt, dass die Unternehmensführung bei Nachhaltigkeitsinnovationen eine Reihe neuer Herausforderungen zu bewältigen hat. Ein Blick auf die Entwicklung der Managementlehre macht deutlich, welche verbindenden Kräfte in den verschiedenen Phasen entstanden sind. Diese Bindungskräfte bezeichnen wir als Konnektoren.

 

Konnektoren in verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre

Die Entwicklung der Managementlehre wurde durch neue Herausforderungen im Umfeld von Unternehmen geprägt. Diese Entwicklung gliedern wir in die folgenden Phasen:

  1. Die klassischen Management-Funktionslehren
  2. die Unterscheidung zwischen einer normativen, strategischen und operativen Managementebene
  3. die Entstehung der Querschnittsdisziplinen Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement sowie
  4. die Erweiterung der Shareholder- zu einer langfristig orientierten Multi-Stakeholder-Perspektive

Am Beginn der modernen Managementwissenschaft standen betriebswirtschaftliche Funktionslehren wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Finanzen. Zur Bewältigung der damit verbundenen Komplexität bedurfte es spezifischer Konnektoren wie der Personalführung, verschiedener Organisationsformen, des Produkt- und Projektmanagements sowie einer gemeinsamen Kultur, die die Funktionsbereiche von Unternehmen verbinden.2

Als Ergänzung zu diesen Management-Funktionslehren entstanden in einer zweiten Entwicklungsphase die Ebenen eines normativen, strategischen3 und operativen Managements, die durch das Konzept eines integrierten Managements verbunden sind.4 Weitere Konnektoren im Rahmen dieser Entwicklungsphase sind eine Vision und ein Leitbild (Mission) sowie die operative Umsetzung von Strategien und das Performance Management mit Zielen, Leistungsmessgrößen und Ergebnissen.5

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine dritte Entwicklungsphase begann mit der Entstehung der Querschnittsdisziplinen des Innovations-6 und des Nachhaltigkeitsmanagements,7 die klassische Aufgaben durchdringen.8 Der Begriff Nachhaltigkeitsinnovation und das Kunstwort Sustainovation beschreiben die Schnittmengen zwischen diesen Disziplinen.9 Wichtige Konnektoren in dieser dritten Phase sind unter anderem neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit.

 

Neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit

Angesichts der Digitalisierung und des Klimawandels ist neben dem strategischen und dem operativen Management die Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements gestiegen. Im Zuge dieser Entwicklung sind neue Führungsrollen wie die eines Chief Innovation Officers (CINO), eines Chief Digital Officers (CDO) und eines Chief Sustainability Officers (CSO) entstanden. Aufgrund der Entwicklungsdynamik verwundert es nicht, dass Unternehmen die verbindenden Rollen dieser Führungskräfte unterschiedlich interpretieren.10 Zwischen dem strategischen und dem operativen Managements sowie dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement gibt es verschiedene Schnittmengen. wie z.B. das strategische Nachhaltigkeitsmanagement (SNM), die Aufgaben mit einem hohen Koordinationsbedarf beschreiben.

 

 

Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager benötigen als Systemgestalter, die verschiedene Systembausteine integrieren und mit anderen internen und externen Akteuren interagieren, eine spezifische Fähigkeit zur Verbindungsarbeit (Nexus Work).11 Zu der Rolle eines internen Brückenschlägers kommt die eines sektorübergreifenden Mittlers zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Das traditionelle Studium der Ingenieur- und Managementwissenschaft vermittelt die hierzu erforderlichen Fähigkeiten nur unzureichend.

Der Personal- und Führungskräfteentwicklung stellt sich daher die Aufgabe, diese verbindenden Fähigkeiten in einer praxisorientierten Weise zu trainieren.12 Unser Kursangebot zum Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement nutzt hierbei den Megatrend Konnektivität als Grundlage.13 Von besonderer Bedeutung ist die Verbindung von Anwendungen mit Technologien ausgehend von einem Connecting the Boxes Mindset.

 

Verbindung von Anwendungen mit Technologien und eine neue Organisationsform

Die Innovationsgeschichte kennt viele Verbindungen zwischen der Kombination vorhandener Technologien und einer neuen Anwendung. Das klassische Beispiel einer solchen rekombinanten Anwendungsinnovation ist die Einführung der Massenproduktion für Fords Modell T im Jahr 1908. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Technology Brokering in Form einer Vermittlung von Wissen zwischen etablierten Branchen und der neuen Automobilindustrie. Diese Form von Cross Industry Innovation ist auch für das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel ist die Übertragung der in Erdgasaufbereitungsanlagen entstandenen Carbon Capture and Storage (CCS-) Technologie auf die Zementherstellung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Daneben gibt es auch rekombinante technologische Innovationen mit einer Verbindung von neuen Technologien und einer vorhandenen Anwendung. Viele Neuerungen ausgehend von digitalen Querschnittstechnologien wie dem Internet der Dinge (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI) basieren auf diesem Prinzip. Eine neue Form der Konnektivität entsteht durch die Verbindung von neuen digitalen Technologien und Umwelttechnik (Digital GreenTech) mit einer vorhandenen Anwendung. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI im Wertstoffkreislauf der Papierindustrie.

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Unsicherheit von Innovationen bei vorhandenen Anwendungen oder vorhandenen Technologien geringer ist als beim Typus der Systeminnovation, die durch neue Technologien und Anwendungen gekennzeichnet ist. Dabei beschreibt der Begriff Unsicherheit ein Risiko mit unbekannter Eintrittswahrscheinlichkeit und schwer abschätzbaren Folgen.

Die Umsetzung dieser Konnektivität von Anwendungen und Technologien erfolgt in führenden Digitalunternehmen mit Hilfe einer neuen Organisationsform. Eine solche Organisation verbindet agile Teams mit einer zentralen Ressourcen-Plattform und einem Partner-Netzwerk.14 Das zentrale Element dieser Organisation ist ein KI-basiertes Operating Model, das schnelle Lernprozesse, disruptive Geschäftsmodelle und eine erfolgreiche Skalierung ermöglicht. Von großer Bedeutung ist dabei die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Stakeholdern.

 

Gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme

Die Wurzeln der vierten Entwicklungsphase des Managements liegen in einer Erweiterung der einige Jahrzehnte dominierenden Shareholder-Perspektive15 zu einem am langfristigen finanziellen Erfolg orientierten und auch sozial und ökologisch verantwortlichen Multi-Stakeholder Management.16 Zu diesen Bezugsgruppen des Unternehmens zählen

  • Anteilseigner (Shareholder) und Kunden
  • die Wissenschaft und Wertschöpfungspartner (z.B. Start-ups)
  • Politik, Justiz, Verwaltung und Verbände sowie
  • Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter, Umweltbewegungen, Medien und die Gesellschaft insgesamt.

Bei Nachhaltigkeitsinnovationen ist die Bewältigung der Stakeholder-Komplexität von entscheidender Bedeutung.17 Wichtige neue Konnektoren sind daher ein gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme.

 

 

Der Leitgedanke eines solchen Stakeholder Systems Co-Design ist es, neue, flexible Pakte zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schließen, wie es der Covestro-Chef Markus Steilemann vorschlägt.18 Dabei sei ein optimistisches und konstruktives Miteinander gefragt.

Beim Thema Stakeholder-Systeme wird deutlich, dass sich mit einer neuen Entwicklungsphase des Managements auch die Konnektoren der früheren Entwicklungsphasen weiterentwickeln. So erfordert ein gutes Management der Bezugsgruppen eine stärker verbindende Personalführung.19 Aus dem traditionellen Leitbild wird ein gemeinsamer Sinn oder Purpose, der Mitarbeiter, Kunden und Anteilseigner zusammenführt.20

Die spannende Frage ist, wie sektorübergreifende Programme für Nachhaltigkeitsinnovationen, wie z.B. das Thema grüner Wasserstoff, konkret ausgestaltet sein sollen. Ein mögliches, viel zitiertes Vorbild ist das Mondflug-Programm der USA aus den 1960er Jahren und das hieraus abgeleitete Modell einer Mission Economy.21 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich die Rahmenbedingungen für das damalige Programm grundlegend von den gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels unterscheiden. Zur Bewältigung der hierbei herrschenden Stakeholder-Komplexität gibt es bis heute keine Blaupause für Organisationen und Staaten. Dies ist eine große Chance für Unternehmen wie die BASF, die mit ihrer Green Transition neue Standards setzen möchten.

Der Übergang zu einer „grüneren Wirtschaft“ erfordert neben einheitlichen Berichtpflichten und passgenauen Bewertungskriterien22 möglicherweise auch entsprechende finanzielle Anreize für die Führungskräfte. Studien zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Vergütungssystemen vieler Unternehmen bislang eher eine Nebenrolle spielt.23

Um zusammen mit Stakeholdern ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es wichtig, eine gemeinsame methodische Basis zu haben. Eine solche Methode ist das systemische Design. Entscheidend bei dessen Anwendung ist, dass die Gestaltung des Stakeholder-Systems nicht an die Kommunikationsabteilung delegiert, sondern zentraler Bestandteil einer neuen Führungsagenda wird.

 

Systemisches Design und eine neue Führungsagenda

Parallel zur Managementlehre haben sich seit den 1950er Jahren die Systemtheorien24 und das Design Thinking25 entwickelt und wechselseitig befruchtet, z.B. bei der Entstehung von agilen Konzepten wie Scrum.26 Dabei liegt das Nutzenversprechen der Systemtheorien und des Design Thinking in der Schaffung eines gemeinsamen methodischen Rahmens und Mindsets für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Bewältigung komplexer Probleme.

Aus diesen klassischen Konnektoren ist das systemische Design entstanden, das die Systemtheorien mit dem Design Thinking verbindet.27 Diese relativ neue Methodik hat sich bei der Anwendung in sektorübergreifenden Innovationsprogrammen bewährt. Die Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erhalten hiermit eine Gestaltungsgrundlage, die die Verständigung zwischen unterschiedlichen Bezugsgruppen fördert. Der Ansatz sollte daher zum zentralen Bestandteil einer programmbegleitenden Executive Education werden.

Im Mittelpunkt der sich abzeichnenden neuen Agenda für die Führung steht eine Weiterentwicklung des traditionellen strategischen Managements mit seiner einseitigen Shareholder-Value Orientierung. Dieses mehr als ein halbes Jahrhundert vorherrschende Management-Paradigma bedarf der Ergänzung um Strategien für Nachhaltigkeit und Innovation. Die Umsetzung dieser Strategien erfordert die aktive Mitwirkung der Führungsspitze beim Co-Design von Stakeholder-Systemen. Ein externes Mentoring kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Nachwuchs-Führungskräfte auf diese Aufgabe vorzubereiten. Angesichts der neuen Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung ändert sich parallel dazu auch die Agenda des Verantwortlichen für Finanzen in Richtung Sustainable Finance.

Für die Führung in Politik und Wirtschaft hat der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab die Vision einer Governance 4.0 skizziert.28 Ein Kennzeichen guter Governance im 21. Jahrhundert ist für ihn, dass Führungskräfte eine nachhaltige Wertsteigerung für alle relevanten Stakeholder anstreben. Diese Grundhaltung ist ein zentraler Ausgangspunkt für die Erfüllung von ESG-Kriterien aus Umweltschutz, sozialen Aspekten und Stakeholder-Management, die auch bei M&A-Aktivitäten immer wichtiger werden.29

 

Fazit

  • In den Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische verbindende Kräfte entstanden, die die Komplexitätsbewältigung von Unternehmen unterstützen
  • Die zunehmende Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements hat weitere Konnektoren hervorgebracht. Hierzu zählen neue Führungsrollen, die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit, das Wechselspiel von neuen Technologien und Anwendungen und schließlich eine neue Organisationsform, die agile Teams und eine zentrale Ressourcen-Plattform mit dem Partnernetzwerk verknüpft
  • Nachhaltigkeitsinnovationen erfordern die aktive Gestaltung des Stakeholder-Systems eines Unternehmens und gemeinsame Programme von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Eine methodische Hilfestellung leistet dabei die neue Methode des systemischen Designs
  • Innovation, Nachhaltigkeit und die Gestaltung des Stakeholder-Systems gehören zu den zentralen Punkten einer neuen Führungsagenda, die gegenwärtig entsteht

 

Literatur

[1] Fröndhoff, B., Hofmann, S., Schütze, A., BASF startet Umbau. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 3, 6-7

[2] Servatius, H.G., Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[3] Ansoff, H.I., Corporate Strategy – An Analytic Approach to Business Policy for Growth and Expansion, New York 1965

[4] Bleicher, K., Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt 1991

[5] Servatius, H.G., Ebenenmodell für ein Connective Management. In: Competivation Blog, 16.03.2021

[6] Burns, T., Stalker, G.M., The Management of Innovation, London 1961

[7] Elkington, J., Cannibals with Forks – Triple Bottom Line of 21st Century Business, Oxford 1997

[8] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

[9] Hargadon, A., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[10] Servatius, H.G., Piller, F.T.(Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Düsseldorf 2014

[11] Hargadon, a.a.O, S. 80 ff.

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme zur Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Servatius, H.G., Der Megatrend Konnektivität und seine Treiber. In: Competivation Blog, 26.10.2021

[14] Servatius, H.G., Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, London 1986

[16] O’Leary, M., Valdmanis, W., Accountable – The Rise of Citizen Capitalism, New York 2020, S. 148 ff.

[17] Servatius, H.G., Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen. In: Competivation Blog, 20.02.2020

[18] Blume, J., Fröndhoff, B., „Alle Ampeln auf grüne Welle stellen“. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 24

[19] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[20] Servatius, H.G., Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 15.10.2020

[21] Mazzucato, M., Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Dublin 2021

[22] Servatius, H.G., Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map. In: Competivation Blog, 30.11.2021

[23] Palan, D., Grüne Heuchelei. In: Manager Magazin, Januar 2022, S. 116-119

[24] von Bertalanffy, L., General Systems Theory – Foundations, Development, Applications, New York 1968

[25] Arnold, J.E., Creative Engineering – Promoting Engineering by Thinking Differently, Stanford 1959

[26] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook, New York 2019

[27] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.), Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[28] Schwab, K., Die Vision einer Governance 4.0. In: Handelsblatt, 21./22./23. Januar 2022, S. 64

[29] Seibt, C.H., Dealmaker mit gutem Gewissen. In: Manager Magazin, Februar 2022, S. 46

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