Nachhaltigkeitsmanagement | Competivation
Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

Konnektivität bei Nachhaltigkeitsinnovationen

In den verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische Konnektoren entstanden, die die Aufgaben von Führungskräften verbinden. Die Komplexitätsbewältigung bei Nachhaltigkeitsinnovationen erfordert neue Formen der Konnektivität.

 

In diesem Blogpost erläutern wir die zunehmende Bedeutung eines gemeinsamen Designs von Stakeholder-Systemen für sektorübergreifende Innovationsprogramme von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

 

Green Transition der BASF

Der Chemiekonzern BASF plant einen Systemwechsel, bei dem das Unternehmen fossile Rohstoffe durch biobasierte ablösen möchte. Außerdem soll die Prozessenergie aus grünem Strom statt aus Gas kommen. Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung von CO2-freien Verfahren sowie der weitere Ausbau einer Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung. Das Ziel ist, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu reduzieren.1 Für diesen Umbau der BASF passt der Begriff Green Transition. Allerdings muss sich hierzu in Deutschland die Versorgungslage mit erneuerbaren Energien verbessern.

Das Beispiel zeigt, dass die Unternehmensführung bei Nachhaltigkeitsinnovationen eine Reihe neuer Herausforderungen zu bewältigen hat. Ein Blick auf die Entwicklung der Managementlehre macht deutlich, welche verbindenden Kräfte in den verschiedenen Phasen entstanden sind. Diese Bindungskräfte bezeichnen wir als Konnektoren.

 

Konnektoren in verschiedenen Entwicklungsphasen der Managementlehre

Die Entwicklung der Managementlehre wurde durch neue Herausforderungen im Umfeld von Unternehmen geprägt. Diese Entwicklung gliedern wir in die folgenden Phasen:

  1. Die klassischen Management-Funktionslehren
  2. die Unterscheidung zwischen einer normativen, strategischen und operativen Managementebene
  3. die Entstehung der Querschnittsdisziplinen Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement sowie
  4. die Erweiterung der Shareholder- zu einer langfristig orientierten Multi-Stakeholder-Perspektive

Am Beginn der modernen Managementwissenschaft standen betriebswirtschaftliche Funktionslehren wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Finanzen. Zur Bewältigung der damit verbundenen Komplexität bedurfte es spezifischer Konnektoren wie der Personalführung, verschiedener Organisationsformen, des Produkt- und Projektmanagements sowie einer gemeinsamen Kultur, die die Funktionsbereiche von Unternehmen verbinden.2

Als Ergänzung zu diesen Management-Funktionslehren entstanden in einer zweiten Entwicklungsphase die Ebenen eines normativen, strategischen3 und operativen Managements, die durch das Konzept eines integrierten Managements verbunden sind.4 Weitere Konnektoren im Rahmen dieser Entwicklungsphase sind eine Vision und ein Leitbild (Mission) sowie die operative Umsetzung von Strategien und das Performance Management mit Zielen, Leistungsmessgrößen und Ergebnissen.5

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Eine dritte Entwicklungsphase begann mit der Entstehung der Querschnittsdisziplinen des Innovations-6 und des Nachhaltigkeitsmanagements,7 die klassische Aufgaben durchdringen.8 Der Begriff Nachhaltigkeitsinnovation und das Kunstwort Sustainovation beschreiben die Schnittmengen zwischen diesen Disziplinen.9 Wichtige Konnektoren in dieser dritten Phase sind unter anderem neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit.

 

Neue Führungsrollen und die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit

Angesichts der Digitalisierung und des Klimawandels ist neben dem strategischen und dem operativen Management die Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements gestiegen. Im Zuge dieser Entwicklung sind neue Führungsrollen wie die eines Chief Innovation Officers (CINO), eines Chief Digital Officers (CDO) und eines Chief Sustainability Officers (CSO) entstanden. Aufgrund der Entwicklungsdynamik verwundert es nicht, dass Unternehmen die verbindenden Rollen dieser Führungskräfte unterschiedlich interpretieren.10 Zwischen dem strategischen und dem operativen Managements sowie dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement gibt es verschiedene Schnittmengen. wie z.B. das strategische Nachhaltigkeitsmanagement (SNM), die Aufgaben mit einem hohen Koordinationsbedarf beschreiben.

 

 

Innovations- und Nachhaltigkeitsmanager benötigen als Systemgestalter, die verschiedene Systembausteine integrieren und mit anderen internen und externen Akteuren interagieren, eine spezifische Fähigkeit zur Verbindungsarbeit (Nexus Work).11 Zu der Rolle eines internen Brückenschlägers kommt die eines sektorübergreifenden Mittlers zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Das traditionelle Studium der Ingenieur- und Managementwissenschaft vermittelt die hierzu erforderlichen Fähigkeiten nur unzureichend.

Der Personal- und Führungskräfteentwicklung stellt sich daher die Aufgabe, diese verbindenden Fähigkeiten in einer praxisorientierten Weise zu trainieren.12 Unser Kursangebot zum Innovations- und Nachhaltigkeitsmanagement nutzt hierbei den Megatrend Konnektivität als Grundlage.13 Von besonderer Bedeutung ist die Verbindung von Anwendungen mit Technologien ausgehend von einem Connecting the Boxes Mindset.

 

Verbindung von Anwendungen mit Technologien und eine neue Organisationsform

Die Innovationsgeschichte kennt viele Verbindungen zwischen der Kombination vorhandener Technologien und einer neuen Anwendung. Das klassische Beispiel einer solchen rekombinanten Anwendungsinnovation ist die Einführung der Massenproduktion für Fords Modell T im Jahr 1908. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Technology Brokering in Form einer Vermittlung von Wissen zwischen etablierten Branchen und der neuen Automobilindustrie. Diese Form von Cross Industry Innovation ist auch für das Thema Nachhaltigkeit von großer Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel ist die Übertragung der in Erdgasaufbereitungsanlagen entstandenen Carbon Capture and Storage (CCS-) Technologie auf die Zementherstellung.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Daneben gibt es auch rekombinante technologische Innovationen mit einer Verbindung von neuen Technologien und einer vorhandenen Anwendung. Viele Neuerungen ausgehend von digitalen Querschnittstechnologien wie dem Internet der Dinge (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI) basieren auf diesem Prinzip. Eine neue Form der Konnektivität entsteht durch die Verbindung von neuen digitalen Technologien und Umwelttechnik (Digital GreenTech) mit einer vorhandenen Anwendung. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI im Wertstoffkreislauf der Papierindustrie.

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Unsicherheit von Innovationen bei vorhandenen Anwendungen oder vorhandenen Technologien geringer ist als beim Typus der Systeminnovation, die durch neue Technologien und Anwendungen gekennzeichnet ist. Dabei beschreibt der Begriff Unsicherheit ein Risiko mit unbekannter Eintrittswahrscheinlichkeit und schwer abschätzbaren Folgen.

Die Umsetzung dieser Konnektivität von Anwendungen und Technologien erfolgt in führenden Digitalunternehmen mit Hilfe einer neuen Organisationsform. Eine solche Organisation verbindet agile Teams mit einer zentralen Ressourcen-Plattform und einem Partner-Netzwerk.14 Das zentrale Element dieser Organisation ist ein KI-basiertes Operating Model, das schnelle Lernprozesse, disruptive Geschäftsmodelle und eine erfolgreiche Skalierung ermöglicht. Von großer Bedeutung ist dabei die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Stakeholdern.

 

Gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme

Die Wurzeln der vierten Entwicklungsphase des Managements liegen in einer Erweiterung der einige Jahrzehnte dominierenden Shareholder-Perspektive15 zu einem am langfristigen finanziellen Erfolg orientierten und auch sozial und ökologisch verantwortlichen Multi-Stakeholder Management.16 Zu diesen Bezugsgruppen des Unternehmens zählen

  • Anteilseigner (Shareholder) und Kunden
  • die Wissenschaft und Wertschöpfungspartner (z.B. Start-ups)
  • Politik, Justiz, Verwaltung und Verbände sowie
  • Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter, Umweltbewegungen, Medien und die Gesellschaft insgesamt.

Bei Nachhaltigkeitsinnovationen ist die Bewältigung der Stakeholder-Komplexität von entscheidender Bedeutung.17 Wichtige neue Konnektoren sind daher ein gemeinsames Design von Stakeholder-Systemen und sektorübergreifende Innovationsprogramme.

 

 

Der Leitgedanke eines solchen Stakeholder Systems Co-Design ist es, neue, flexible Pakte zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu schließen, wie es der Covestro-Chef Markus Steilemann vorschlägt.18 Dabei sei ein optimistisches und konstruktives Miteinander gefragt.

Beim Thema Stakeholder-Systeme wird deutlich, dass sich mit einer neuen Entwicklungsphase des Managements auch die Konnektoren der früheren Entwicklungsphasen weiterentwickeln. So erfordert ein gutes Management der Bezugsgruppen eine stärker verbindende Personalführung.19 Aus dem traditionellen Leitbild wird ein gemeinsamer Sinn oder Purpose, der Mitarbeiter, Kunden und Anteilseigner zusammenführt.20

Die spannende Frage ist, wie sektorübergreifende Programme für Nachhaltigkeitsinnovationen, wie z.B. das Thema grüner Wasserstoff, konkret ausgestaltet sein sollen. Ein mögliches, viel zitiertes Vorbild ist das Mondflug-Programm der USA aus den 1960er Jahren und das hieraus abgeleitete Modell einer Mission Economy.21 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich die Rahmenbedingungen für das damalige Programm grundlegend von den gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels unterscheiden. Zur Bewältigung der hierbei herrschenden Stakeholder-Komplexität gibt es bis heute keine Blaupause für Organisationen und Staaten. Dies ist eine große Chance für Unternehmen wie die BASF, die mit ihrer Green Transition neue Standards setzen möchten.

Der Übergang zu einer „grüneren Wirtschaft“ erfordert neben einheitlichen Berichtpflichten und passgenauen Bewertungskriterien22 möglicherweise auch entsprechende finanzielle Anreize für die Führungskräfte. Studien zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Vergütungssystemen vieler Unternehmen bislang eher eine Nebenrolle spielt.23

Um zusammen mit Stakeholdern ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist es wichtig, eine gemeinsame methodische Basis zu haben. Eine solche Methode ist das systemische Design. Entscheidend bei dessen Anwendung ist, dass die Gestaltung des Stakeholder-Systems nicht an die Kommunikationsabteilung delegiert, sondern zentraler Bestandteil einer neuen Führungsagenda wird.

 

Systemisches Design und eine neue Führungsagenda

Parallel zur Managementlehre haben sich seit den 1950er Jahren die Systemtheorien24 und das Design Thinking25 entwickelt und wechselseitig befruchtet, z.B. bei der Entstehung von agilen Konzepten wie Scrum.26 Dabei liegt das Nutzenversprechen der Systemtheorien und des Design Thinking in der Schaffung eines gemeinsamen methodischen Rahmens und Mindsets für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Bewältigung komplexer Probleme.

Aus diesen klassischen Konnektoren ist das systemische Design entstanden, das die Systemtheorien mit dem Design Thinking verbindet.27 Diese relativ neue Methodik hat sich bei der Anwendung in sektorübergreifenden Innovationsprogrammen bewährt. Die Akteure aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erhalten hiermit eine Gestaltungsgrundlage, die die Verständigung zwischen unterschiedlichen Bezugsgruppen fördert. Der Ansatz sollte daher zum zentralen Bestandteil einer programmbegleitenden Executive Education werden.

Im Mittelpunkt der sich abzeichnenden neuen Agenda für die Führung steht eine Weiterentwicklung des traditionellen strategischen Managements mit seiner einseitigen Shareholder-Value Orientierung. Dieses mehr als ein halbes Jahrhundert vorherrschende Management-Paradigma bedarf der Ergänzung um Strategien für Nachhaltigkeit und Innovation. Die Umsetzung dieser Strategien erfordert die aktive Mitwirkung der Führungsspitze beim Co-Design von Stakeholder-Systemen. Ein externes Mentoring kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Nachwuchs-Führungskräfte auf diese Aufgabe vorzubereiten. Angesichts der neuen Herausforderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung ändert sich parallel dazu auch die Agenda des Verantwortlichen für Finanzen in Richtung Sustainable Finance.

Für die Führung in Politik und Wirtschaft hat der Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab die Vision einer Governance 4.0 skizziert.28 Ein Kennzeichen guter Governance im 21. Jahrhundert ist für ihn, dass Führungskräfte eine nachhaltige Wertsteigerung für alle relevanten Stakeholder anstreben. Diese Grundhaltung ist ein zentraler Ausgangspunkt für die Erfüllung von ESG-Kriterien aus Umweltschutz, sozialen Aspekten und Stakeholder-Management, die auch bei M&A-Aktivitäten immer wichtiger werden.29

 

Fazit

  • In den Entwicklungsphasen der Managementlehre sind spezifische verbindende Kräfte entstanden, die die Komplexitätsbewältigung von Unternehmen unterstützen
  • Die zunehmende Bedeutung des Innovations- und des Nachhaltigkeitsmanagements hat weitere Konnektoren hervorgebracht. Hierzu zählen neue Führungsrollen, die Fähigkeit zur Verbindungsarbeit, das Wechselspiel von neuen Technologien und Anwendungen und schließlich eine neue Organisationsform, die agile Teams und eine zentrale Ressourcen-Plattform mit dem Partnernetzwerk verknüpft
  • Nachhaltigkeitsinnovationen erfordern die aktive Gestaltung des Stakeholder-Systems eines Unternehmens und gemeinsame Programme von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Eine methodische Hilfestellung leistet dabei die neue Methode des systemischen Designs
  • Innovation, Nachhaltigkeit und die Gestaltung des Stakeholder-Systems gehören zu den zentralen Punkten einer neuen Führungsagenda, die gegenwärtig entsteht

 

Literatur

[1] Fröndhoff, B., Hofmann, S., Schütze, A., BASF startet Umbau. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 3, 6-7

[2] Servatius, H.G., Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[3] Ansoff, H.I., Corporate Strategy – An Analytic Approach to Business Policy for Growth and Expansion, New York 1965

[4] Bleicher, K., Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt 1991

[5] Servatius, H.G., Ebenenmodell für ein Connective Management. In: Competivation Blog, 16.03.2021

[6] Burns, T., Stalker, G.M., The Management of Innovation, London 1961

[7] Elkington, J., Cannibals with Forks – Triple Bottom Line of 21st Century Business, Oxford 1997

[8] Servatius, H.G., Innovations- und Nachhaltigkeitssysteme verbinden klassische Managementaufgaben. In: Competivation Blog, 09.09.2021

[9] Hargadon, A., Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[10] Servatius, H.G., Piller, F.T.(Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Düsseldorf 2014

[11] Hargadon, a.a.O, S. 80 ff.

[12] Servatius, H.G., Mentoring-Programme zur Entwicklung konnektiver Fähigkeiten. In: Competivation Blog, 10.05.2021

[13] Servatius, H.G., Der Megatrend Konnektivität und seine Treiber. In: Competivation Blog, 26.10.2021

[14] Servatius, H.G., Die Ressourcen-Plattform mit agilen Teams als neue Organisationsform. In: Competivation Blog, 12.01.2021

[15] Rappaport, A., Creating Shareholder Value – The New Standard for Business Performance, London 1986

[16] O’Leary, M., Valdmanis, W., Accountable – The Rise of Citizen Capitalism, New York 2020, S. 148 ff.

[17] Servatius, H.G., Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen. In: Competivation Blog, 20.02.2020

[18] Blume, J., Fröndhoff, B., „Alle Ampeln auf grüne Welle stellen“. In: Handelsblatt, 10./11./12. Dezember 2021, S. 24

[19] Servatius, H.G., Personalführung im Zeitalter eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 19.01.2021

[20] Servatius, H.G., Nachhaltigkeitsinnovationen als Werttreiber in der Purpose Economy. In: Competivation Blog, 15.10.2020

[21] Mazzucato, M., Mission Economy – A Moonshot Guide to Changing Capitalism, Dublin 2021

[22] Servatius, H.G., Nachhaltige Entwicklung von Unternehmen mit einer Sustainability Map. In: Competivation Blog, 30.11.2021

[23] Palan, D., Grüne Heuchelei. In: Manager Magazin, Januar 2022, S. 116-119

[24] von Bertalanffy, L., General Systems Theory – Foundations, Development, Applications, New York 1968

[25] Arnold, J.E., Creative Engineering – Promoting Engineering by Thinking Differently, Stanford 1959

[26] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook, New York 2019

[27] Jones, P., Kijima, K. (Hrsg.), Systemic Design – Theory, Methods, and Practice, Tokio 2018

[28] Schwab, K., Die Vision einer Governance 4.0. In: Handelsblatt, 21./22./23. Januar 2022, S. 64

[29] Seibt, C.H., Dealmaker mit gutem Gewissen. In: Manager Magazin, Februar 2022, S. 46

Konnektive Geschäftsmodelle mit Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen

Konnektive Geschäftsmodelle mit Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen

Das Greenwashing beim Thema ESG lenkt den Blick auf eine verengte Sichtweise von Nachhaltigkeitsrisiken. Besser wäre es, bei der Bewertung von Geschäftsmodellen die Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken stärker mit der Nutzung von Innovationschancen zu verbinden.

 

In diesem Blogpost erläutern wir ein Vorgehen für die Realisierung von solchen konnektiven (verbindenden) Geschäftsmodellen

 

Greenwashing beim Thema ESG

Die zunehmende Bedeutung der Umwelt (Environment E), sozialer Standards (Social S) und einer verantwortungsvollen Unternehmensführung (Governance G) für die Kapitalmärkte hat dazu beigetragen, dass immer mehr Trittbrettfahrer die uneinheitlichen ESG-Kriterien zum Greenwashing nutzen. So will die US-Finanzaufsicht SEC klären, ob die Fondstochter DWS der Deutschen Bank ein zu positives Bild ihrer nachhaltigen Anlagen gezeichnet hat.

 

Zwar existiert bereits seit 2019 ein Merkblatt der deutschen Finanzaufsicht Bafin zu Nachhaltigkeitsrisiken. Allerdings erwartet die Bafin auch für das Geschäftsjahr 2020 „keine weitergehende Auseinandersetzung und Berichterstattung des Abschlussprüfers dahingehend, wie die von der Bafin beaufsichtigten Unternehmen mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen“.1 Das bedeutet, dass die Banken zunächst einmal die Möglichkeit haben, sich Gedanken über geeignete Methoden und Prozesse zur Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken zu machen. Somit ist es nicht völlig unwahrscheinlich, dass die Verantwortlichen die bislang vorherrschende verengte Sichtweise von Nachhaltigkeitsrisiken überwinden und verstärkt über die Frage nachdenken, wie sich diese Risiken in Innovationschancen überführen lassen.

 

Verengte Sichtweise beim Management von Nachhaltigkeitsrisiken

Geschäftsmodell-Risiken beschreiben die Möglichkeit von negativen Entwicklungen für ein Unternehmen.2 Zu einem benannten Risiko gehören seine Eintrittswahrscheinlichkeit und ein Schadensausmaß. Beide Kriterien sind bei Nachhaltigkeitsrisiken schwer zu messen. Es besteht aber in der Regel ein Konsens darüber, dass diese Risiken existieren. Zwischen dem Auftreten z.B. von Umweltrisiken und negativen finanziellen Folgen liegt meist eine längere Zeitspanne, in der die schwer prognostizierbare Interaktion zwischen Stakeholdern großen Einfluss auf das Schadensausmaß für ein Unternehmen hat.

 

Aufgabe des Risikomanagements ist es, Risiken zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten. Auf dieser Grundlage erfolgt dann ein koordinierter Einsatz von Ressourcen zur Beobachtung, Minderung und Bewältigung der Risiken. Aus der Bewältigung von Risiken können sich Chancen ergeben, deren Nutzung zu Wettbewerbsvorteilen führt. 3

 

Die traditionelle Sichtweise von Nachhaltigkeitsrisiken ist verengt, da die meisten Ansätze keine explizite Verbindung zu Innovationschancen herstellen. Dies gilt auch für ESG-Ratings, bei denen ja die Governance-Komponente die Möglichkeit böte, Innovationsansätze z.B. zur Bewältigung von Umweltrisiken zu thematisieren. In den vorhandenen ESG-Konzepten sucht man solche verbindenden Überlegungen jedoch meist vergeblich.

 

Nachhaltigkeitsrisiken in Innovationschancen überführen

Wir haben diese unbefriedigende Situation zum Anlass genommen, eine Geschäftsmodell-Typologie zu entwickeln, die das Ziel verfolgt, Nachhaltigkeitsrisiken in Innovationschancen zu überführen. Dabei wird unterschieden, ob in einem Geschäftsmodell die Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen gering oder groß sind. Es ergibt sich eine idealtypische Vierfelder-Matrix, die wir kurz anhand von Beispielen erläutern.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

In der Matrix links unten sind relativ stabile Geschäftsmodelle mit geringen Nachhaltigkeitsrisiken und geringen Innovationschancen positioniert. Ein Beispiel für ein solches stabiles Geschäftsmodell liefert das Handwerk, wo zwar ein intensiver Kosten- und Qualitätswettbewerb herrscht, die Themen Nachhaltigkeit und Innovation aber eine geringere Bedeutung haben als in anderen Branchen.

 

Daneben gibt es innovationsintensive Geschäftsmodelle mit großen Innovationschancen und geringen Nachhaltigkeitsrisiken. Ein Beispiel ist die Softwarebranche, in der von Digitalgiganten und Start-ups eine erhebliche Disruptionsgefahr für etablierte Unternehmen ausgeht. Mit Hilfe einer innovativen CO2-Analyse-Software z.B. von SAP ist es möglich, die CO2-Emissionen von Unternehmen zu messen und so eine wichtige Lücke in der Nachhaltigkeits-berichterstattung zu schließen.4

 

Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen gegenwärtig gefährdete Geschäftsmodelle, wie die Kohle- und Ölförderung, die durch große Nachhaltigkeitsrisiken und relativ geringe Innovationschancen gekennzeichnet sind. Kapitalkräftige Akteure, die diese Risiken erkannt haben, planen eine Diversifikation z.B. in erneuerbare Energien.

 

Das spannendste Feld in unserer Typologie sind die konnektiven Geschäftsmodelle mit großen Nachhaltigkeitsrisiken, aber auch großen Innovationschancen. Hierzu gehören z.B. Mobilitätskonzepte auf der Basis neuer Technologien und die Dekarbonisierung der Stahl-, Zement-, und Chemieindustrie. So setzt der Kunststoffhersteller Covestro seinen Umbau in Richtung Kreislaufwirtschaft fort und plant die Herstellung von Dämmstoffen für Gebäudefassaden mit einem um 35 Prozent verringerten Kohlendioxid-Ausstoß.5 Die Erreichung ehrgeiziger Klimaziele wird entscheidend von der erfolgreichen Realisierung dieser verbindenden Geschäftsmodelle abhängen, die Nachhaltigkeitsrisiken in Innovationschancen überführen.

 

Übergang zu einem konnektiven Geschäftsmodell

Ein weiteres Beispiel für den notwendigen Übergang von einem gefährdeten zu einem konnektiven Geschäftsmodell liefert Heidelbergcement, ein Konzern mit 18 Milliarden Euro Umsatz, der beim Treibhausgasausstoß im Dax 40 Platz zwei belegt. Abhilfe schaffen soll nun Nicola Kimm als neuernanntes Vorstandsmitglied für Nachhaltigkeit.6

 

Die Aufgabe ist anspruchsvoll. Neben dem Einsatz von alternativen Brennstoffen in Zementfabriken erprobt Heidelbergcement in Norwegen ein innovatives Verfahren, bei dem das anfallende Kohlendioxid abgeschieden, aufgefangen und in alte Öl- und Gasfelder unter der Nordsee gepresst wird. Der norwegische Staat fördert die neue Anlage mit 250 Millionen Euro. In Deutschland und vielen anderen Ländern ist die unterirdische Speicherung des Treibhausgases bislang politisch aber nicht durchsetzbar. Daher ist noch offen, welches nachhaltige Geschäftsmodell sich in der Zementindustrie mittelfristig durchsetzen wird. Das Beispiel zeigt, wie wichtig die Interaktion mit relevanten Stakeholdern ist.7

 

Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken mit Innovationen

Die Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken mit Innovationen erfordert ein systematisches Vorgehen, das das Nachhaltigkeitsmanagement mit dem Innovationsmanagement verbindet.8

 

Den Ausgangspunkt bildet die Identifikation, Analyse und Bewertung der Nachhaltigkeitsrisiken eines Geschäftsmodells z.B. anhand der Kriterien Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe. Hieran schließt sich eine Ableitung möglicher Ansätze zur Minderung und Bewältigung der Risiken an. Im dritten Schritt geht es dann um die Umsetzung und Erfolgskontrolle geeigneter Maßnahmen.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

 

Ein möglicher Ansatz zur Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken sind Innovationen. Hierbei liegt die Chance für Unternehmen darin, sich als Nachhaltigkeitspionier zu positionieren und so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Der erste Schritt ist daher die Identifikation von Innovationsmöglichkeiten zur Risikobewältigung.

 

Ein Beispiel liefert die Stahlindustrie. Schätzungen gehen davon aus, dass die Senkung der CO2-Emission in der deutschen Stahlproduktion bis 2030 Finanzmittel in Höhe von 13 bis 35 Milliarden Euro erfordert. Ein mögliches Instrument zur Finanzierung sind Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference CCFD) zwischen der öffentlichen Hand und den Unternehmen.9 Die nächste Bundesregierung wird sich mit der konkreten Ausgestaltung eines Handlungskonzepts Stahl beschäftigen müssen. Das Beispiel zeigt, dass die Nutzung von Innovationschancen eine verbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft erfordert. Public-Private Partnerships sind ein Erfolg versprechendes Konzept für eine solche Zusammenarbeit.

 

Die Aufgabe dieser Public-Private Partnerships ist die Konzeption, Umsetzung und Erfolgskontrolle von nachhaltigkeitsorientierten Innovationsprogrammen. Eine wichtige Aufgabe für eine neue deutsche Bundesregierung wird es sein, die politischen Rahmenbedingungen für derartige Programme zu gestalten.

 

Ein Connective Management schafft Arbeitsplätze und ermöglicht eine nachhaltige Wertsteigerung

Die verbindende Betrachtung von Nachhaltigkeitsrisiken und Innovationschancen ist ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld eines Connective Managements.10 Für Unternehmen erfordert dies eine engere Zusammenarbeit der mit den Themen Nachhaltigkeit, Risikomanagement, Innovation und Strategie beschäftigten Organisationseinheiten. Darüber hinaus ist die Kooperation mit Kunden, Wertschöpfungspartnern und dem öffentlichen Sektor erfolgsentscheidend. Wichtige Ziele sind die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und eine nachhaltige Wertsteigerung mit Innovationen.

 

Ein Beispiel hierfür ist die Produktion von Batteriezellen in Europa. So plant die BASF weltweit Investitionen von weiteren 3,5 bis 4,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Batteriechemie. Der Spezialist für Kathodentechnologie möchte mit verbesserten Lithium-Ionen-Batterien die Reichweite von Elektroautos verbessern.11 Das Beispiel verdeutlicht, dass die Bewältigung von Nachhaltigkeits- oder ESG-Risiken eine neue Phase erreicht hat. In dieser Phase wird die einseitige Fokussierung auf Risiken durch eine Betrachtung der Chancen von Nachhaltigkeitsinnovationen ergänzt. Das Connective Management liefert hierfür einen geeigneten Ordnungsrahmen.

 

Fazit

  • Das bisherige Vorgehen bei der Bewältigung von Nachhaltigkeits- oder ESG-Risiken steht auf dem Prüfstand
  • Neue Ansätze sollten stärker die Verbindung von Nachhaltigkeitsrisiken mit Innovationschancen berücksichtigen
  • In konnektiven Geschäftsmodellen sind sowohl die Nachhaltigkeitsrisiken als auch die Innovationschancen groß
  • Ein systematisches Vorgehen zur Realisierung von Nachhaltigkeits-innovationen erfordert eine verbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik
  • Das Connective Management fördert Verbindungen zwischen Managementsystemen, Sektoren und den verantwortlichen Akteuren

 

 

Literatur

[1] Holtermann, F., Osman, Y.: Immer wieder Aufschub in Sachen Nachhaltigkeit. In: Handelsblatt, 23. September 2021, S. 28-29

[2] Servatius, H.G.: Analyse des Geschäftsmodell-Portfolios und Verbesserung des Risikomanagements. In: Competivation Blog, 19.11.2020

[3] Hubbard, D.W.: The Failure of Risk Management – Why it’s Broken and How to Fix it, 2. Aufl., Hoboken 2020

[4] Holzki, L., Kerkhoff, C.: Die Vermessung der Klimasünden. In: Handelsblatt, 27. September 2021, S.18-19

[5] Fröndhoff, B.: Milliarden in Green-Tech. In Handelsblatt, 29. September 2021, S. 16-17

[6] Werres, T.: Risse im Beton. In: Manager Magazin, Oktober 2021, S.68-71

[7] Servatius, H.G.: Nachhaltige Geschäftsmodelle durch eine verbesserte Stakeholder-Interaktion. In: Competivation Blog, 11.04.2018

[8] Hargadon, A.: Sustainable Innovation – Build Your Company’s Capacity to Change the World, Stanford 2015

[9] Stratmann, K.: Letzte Chance für die Stahlindustrie. In: Handelsblatt, 30. September 2021, S. 6-7

[10] Servatius, H.G.: Komplexitätsbewältigung als Treiber eines Connective Managements. In: Competivation Blog, 31.03.2021

[11] Fröndhoff, B., Witsch, K.: Batterie-Boom in Europa. In: Handelsblatt, 1./2./3. Oktober S. 18-19

Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen

Erfolgreiche Nachhaltigkeitsinnovationen mit verbesserten Stakeholder-Beziehungen

Die Probleme bei der Mobilitätswende könnten zu einer Bedrohung für Schlüsselbranchen wie die Automobilindustrie werden. Der Weg zu erfolgreichen Nachhaltigkeitsinnovationen führt über verbesserte Stakeholder-Beziehungen.

 

Stolpersteine bei der Energie- und Mobilitätswende

Bei wichtigen Nachhaltigkeitsthemen wie Solarenergie und Elektromobilität ist die Bilanz des Zusammenspiels zwischen der deutschen Innovationspolitik und dem Innovationsmanagement deutscher Unternehmen besorgniserregend.1 So führt die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Zeitraum von 2000-2025 zu Subventionen in Höhe von über 400 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sind die meisten deutschen Anbieter von Solartechnik von der Landkarte verschwunden. Bei Lithium-Ionen-Batterien geraten deutsche Automobil-Unternehmen in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Herstellern. Obwohl die Lithium-Gewinnung mit erheblichen Umweltproblemen verbunden ist, hat die deutsche Industrie bislang die Chance nicht genutzt, die Wettbewerber mit besseren Batterietechnologien zu überholen. Viele Autofahrer sind allerdings auch noch nicht auf Elektromobilität umgestiegen, weil sie mit der vorhandenen Ladeinfrastruktur unzufrieden sind.

Diese Beispiele zu Nachhaltigkeitsinnovationen im Energie- und Mobilitätssektor verdeutlichen ein Game-Changer-Thema vom Typ drei, bei dem Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern Durchbrüche erschweren.2

 

Erweiterung des klassischen Innovationsmanagement

Das klassische Innovationsmanagement ist auf den wirtschaftlichen Erfolg mit inkrementellen und radikalen Neuerungen gerichtet. Diese „Profit-Orientierung“ erlebt in Zeiten des Klimawandels eine Erweiterung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Treiber der Erweiterung sind Nachhaltigkeitsinnovationen, die zusätzlich zum wirtschaftlichen Erfolg auf einen ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen gerichtet sind. Neben die Gewinnmaximierung tritt die Suche nach einem höheren Zweck, oder neudeutsch „Purpose“, der in einem Unternehmensleitbild verankert ist.3

 

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass internationale Konzerne wie die BASF, Bosch und SAP in der Value Balancing Alliance an einem Ansatz arbeiten, der versucht, bei der Bilanzierung Auswirkungen auf die Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft besser zu erfassen.4 Bislang fehlen für die Corporate Social Responsibility (CSR-) Aktivitäten von Unternehmen einheitliche Standards.

Die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinnovationen stellt Unternehmen aber vor neue Herausforderungen. Ähnlich wie das Innovationsmanagement erfordert auch das Nachhaltigkeitsmanagement einen integrierten Ansatz. Das nächste große Thema sind dediziert nachhaltigkeitsorientierte Innovationssysteme (DIS).5 Unsere Initiative „Next Level of Innovation“ zielt darauf ab, den Wandel in Richtung auf eine stärkere Nachhaltigkeitsorientierung von Innovationspolitik und Innovationsmanagement zu unterstützen.6 Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die evolutionäre Ökonomie, die lange im Schatten der neoklassischen Mainstream-Ökonomie stand.

 

Defizite bei den Beziehungen zu Stakeholdern

Bei Pionieren des Nachhaltigkeitsmanagements, wie z.B. Henkel, ist eine nachhaltigkeitsorientierte Führung und Organisation tief in der Kultur des Unternehmens verankert. Am Anfang der Entwicklungsgeschichte stehen häufig Nachhaltigkeitsinnovationen und das Thema Nachhaltigkeit durchdringt die gesamte Wertschöpfung. Folgerichtig existiert eine kontinuierlich weiterentwickelte Nachhaltigkeitsstrategie, die in Form messbarer Ergebnisse operationalisiert wird.7 Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wertsteigerung haben viele Unternehmen aber Probleme bei der Gestaltung der immer komplexer werdenden Beziehungen zu Stakeholdern in Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Justiz. Daher kommt einer Verbesserung des Stakeholder Relationship Management die Rolle eines Game Changers bei Nachhaltigkeitssystemen zu.8

 

Ein typisches Muster des Misslingens geht vom Thema „Not in my backyard“ aus. Während ein Großteil der Bevölkerung erneuerbare Energien begrüßt, wehren sich unmittelbar Betroffene gegen die Ansiedlung von Windenergieanlagen oder Stromleitungen. Der Nimby-Effekt ruft die Politik auf den Plan, die versucht einen Interessenausgleich herzustellen. Gelingt dies nicht, sind die Leidtragenden die Unternehmen, deren Verbreitung von Nachhaltigkeitsinnovationen blockiert wird.

Die Schwierigkeit für Unternehmen liegt unter anderen darin, dass bei neuen Themen wie der fünften Generation des Mobilfunks (5G) oder Künstliche Intelligenz (KI) der Verlauf der „Erregungskurve“ bei Bürgern, die sich gegen innovative Technologien wehren und die Reaktionen der Politik nicht einfach zu prognostizieren sind.

 

Drei Phasen gemeinsamer Lernprozesse

Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen, die an Nachhaltigkeitsinnovationen arbeiten, ihre Beziehungen zu Stakeholdern systematisch verbessern können. Im Rahmen unserer Projekte haben wir gute Erfahrungen mit gemeinsamen Lernprozessen gemacht, die in drei Phasen ablaufen. In der ersten Phase einer solchen Learning Journey geht es darum, frühzeitig die komplexen Muster von Innovationsbarrieren besser zu verstehen. Danach schaffen die Akteure geeignete Kommunikationsformate, die auf einen Interessenausgleich gerichtet sind. Dies mündet in Phase drei in die Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme ein, in denen Barrieren abgebaut und Potenziale ausgeschöpft werden. Auf diese Weise gelingt eine nachhaltige Wertsteigerung in Innovationsfeldern.

 

Das Leitbild des Sicherheitsanbieters Giesecke+Devrient lautet: Creating Confidence. Ralf Wintergerst, der CEO des Unternehmens, fordert für den digitalen Wandel mehr Vernetzung zwischen Politik und Wirtschaft.9 Dies gilt auch für Nachhaltigkeitsinnovationen, bei denen die Akteure in Co-Creation-Prozessen ein gemeinsames Lernen orchestrieren müssen.

Häufig unterschätzt wird bislang die Bedeutung der ersten Phase, in der es darum geht, mögliche Innovationsbarrieren besser zu verstehen. So ist es im Rückblick erstaunlich, wie lange Auflagen für Smart Meter Gateways des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die breite Einführung neuer Gesellschaftsmodelle in Deutschland verzögert. Ein lokales Beispiel ist das von Tesla geplante neue Werk in Grünheide bei Berlin. Auf Antrag der Grünen Liga Brandenburg stoppte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Abholzen einer knapp 92 Hektar großen Waldfläche. Der Rodungsstopp gilt so lange, bis über die Eilanträge abschließend entschieden ist.10 Auf diese Weise macht der US-Elektroauto-Hersteller erste Erfahrungen mit dem deutschen Naturschutz. Kritiker sprechen von ökonomischem Analphabetismus und fordern eine Änderung des Verbandsklagerechts.11

Die spannende Frage ist, mit welchen vorhandenen oder neuen Kommunikationsformaten es gelingen kann, die Stakeholder-Beziehungen bei Nachhaltigkeitsinnovationen zu verbessern. Ein Problem ist dabei die zunehmende Polarisierung der Positionen, die es immer schwieriger macht, Zielkonflikte zwischen den Dimensionen einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit zu bewältigen. Eine theoretische Grundlage hierfür liefert die Verknüpfung der Theorie komplexer Systeme mit der Erforschung von „wicked“ (boshaften) Problemen.12 Derartige Probleme sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es verschiedene Stakeholder gibt, bei deren Werten und Prioritäten gravierende Unterschiede bestehen.13

Bei der Gestaltung leistungsfähiger Innovationsökosysteme besteht die Chance für Europa darin, das Modell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und sich so von anderen Politikmodellen zu differenzieren. Ein Innovationsfeld, bei dem Unternehmen und Politik seit Jahren versuchen, einen Durchbruch zu erzielen, ist die Wasserstoffwirtschaft.14 Es bleibt abzuwarten, ob und wann dieser gelingt. Die Stellungnahme des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zur nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung und zur nationalen Umsetzung der Renewable Energy Directive (REDII) zeigt, dass sich die Politik und ein wichtiger Verband in einen konstruktiven Dialogprozess befinden, der hoffentlich zu weiteren konkreten Maßnahmen führt.

 

Organisatorische Implikationen

Das Innovationsmanagement und das Nachhaltigkeitsmanagement sind heute in der Regel in unterschiedlichen Organisationseinheiten angesiedelt. Beide Einheiten haben komplexe, koordinierende Aufgaben mit großer strategischer Bedeutung für die Unternehmensentwicklung. Außerdem spielen beide Einheiten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation mit dem Kapitalmarkt, der Politik und der Öffentlichkeit.

Im Rahmen eines engagierten Wandels zu nachhaltigkeitsorientierten Innovationssystemen konvergieren diese Aufgaben und die Abstimmung zwischen dem Innovations- und dem Nachhaltigkeitsmanagement wird immer wichtiger.

 

Ähnlich wie beim digitalen Wandel stoßen traditionelle Organisationskonzepte bei einer Bewältigung dieser Konvergenz an ihre Grenzen. Eine mögliche Lösung sind evolutionäre Organisationsformen, die darauf gerichtet sind, gemeinsame Lernprozesse mit Kunden und Stakeholdern zu fördern. In unserem Buch „Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer“ behandeln wir dieses Thema als Baustein eines Management 4.0.15 Die Gestaltung und Befähigung solcher evolutionären Organisationen betrachten wir als wichtiges Feld für die Managementforschung.

 

Literatur

[1] Dohmen, F. et al.: Grüner Blackout. In: Der Spiegel, 4. Mai 2019, S. 12-21

[2] Servatius, H.G.: Game-Changer-Themen meistern. In: Competivation Blog, 07. Januar 2020

[3] Reiman, J.: The Story of Purpose – The Path to Creating a Brighter Brand, a Greater Company and a Lasting Legacy, Hoboken 2013

[4] Fockenbrock, D.: Konzerne gründen Wertallianz. In: Handelsblatt, 19. August 2019

[5] Urmetzer, S., Pyka, A.: Innovation Systems for Sustainability. In: Filho, W.L. et al. (Hrsg.): Encyclopedia of the UN Sustainable Development Goals – Decent Work and Economic Growth, Cham 2019

[6] Competivation: Nachhaltigkeitsinnovationen

[7] Servatius, H.G.: Wettbewerbsvorteile durch die Gestaltung eines Nachhaltigkeitssystems. In: Thomaschewski, D., Völker, R. (Hrsg.), Nachhaltige Unternehmensentwicklung – Herausforderungen für die Unternehmensführung des 21. Jahrhunderts, Stuttgart 2016, S. 27-32

[8] Baugh, A.: Stakeholder Engagement – The Game Changer for Program Management, Boca Raton 2015

[9] Wintergerst, R.: Digitale Probleme meistern. In: Handelsblatt, 13. Februar 2020, S. 48

[10] Neuerer, D.: Gericht bremst Tesla-Projekt aus. In: Handelsblatt, 17. Februar 2020, S. 5

[11] Sigmund, T.: Willkommen in Absurdistan. In: Handelsblatt, 18. Februar 2020, S. 16

[12] Waddock, S. et al.: The Complexity of Wicked Problems in Large Scale Change. In: Journal of Organizational Change Management, 2015, S. 993-1012

[13] Head. B.W., Alford, J.: Wicked Problems – Implications for Public Policy and Management. In: Administration and Society, 2015, S. 711-739

[14] Knitterscheidt, K. et al.: Ein Molekül macht Karriere. In: Handelsblatt, 7./8./9. Februar 2020, S. 40-45

[15] Kaufmann, T., Servatius, H.G.: Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer – Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden 2020

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