Paradigmenwechsel im strategischen Management | Competivation
Von erfolgreichen Digital-Unternehmen lernen

Von erfolgreichen Digital-Unternehmen lernen

Sechs der sieben wertvollsten Unternehmen der Welt sind führend bei Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI). Daneben gehen beim aktuellen Thema generative KI wichtige Impulse von Start-ups aus. Daher stellt sich die Frage, was etablierte Unternehmen von diesen Digital-Champions lernen können. Die Suche nach Antworten auf diese Frage führt uns zu einem Paradigmenwechsel im strategischen Management, der lange Zeit von etablierten Unternehmen nicht verstanden worden ist. Eng damit verbunden ist ein Wandel der Personalführung und Kultur.

 

In diesem Blogpost erläutere ich einen Ansatz, der zum Erfolg der Digital-Unternehmen beigetragen hat. In den USA nennt man diesen Ansatz „geeky leadership style“.

 

Steigerung des Unternehmenswertes der „großen Sechs“

Zu den sieben wertvollsten Unternehmen der Welt gehören (Stand 27.06.2024) Microsoft, Apple, Nvidia, Alphabet, Amazon und Meta. Diese „großen Sechs“ aus den USA profitieren in unterschiedlichem Maße von dem gegenwärtigen Boom bei der generativen Künstlichen Intelligenz.1 Allein Microsoft ist zurzeit 77 Prozent mehr wert als alle 40 Dax-Unternehmen zusammen.

Der Erfolg der US-Unternehmen basiert aber nicht nur auf ihrer Digitalkompetenz, sondern auch auf Managementinnovationen. Diese Kombination hat zu einem Vorsprung gegenüber etablierten Unternehmen geführt. Während die Kompetenz in den unterschiedlichen Wellen der Digitalisierung offensichtlich ist, sind die neuen Managementansätze in den Erfolgsphasen der Digital-Unternehmen weit weniger transparent.

 

Ursachen der Erfolgsphasen von Digital-Unternehmen

Wir sind daher der Frage nachgegangen, was die europäische Wirtschaft von erfolgreichen Digital-Unternehmen lernen kann. Das Ergebnis ist eine Kausalkette, die mit der Verbindung der ersten Entwicklungsstufe eines markt- und finanzorientierten strategischen Managements mit der zweiten, durch Technologie und Innovation bestimmten Stufe beginnt. Diese Verbindung hat Theorie verändernd gewirkt und zu einem Paradigmenwechsel von einem eher mechanistischen zu einem komplexitätsbewältigenden strategischen Management geführt. Dieser Paradigmenwechsel prägte die Kultur in den Erfolgsphasen von Digital-Unternehmen. In diesen Phasen ist eine innovationsfördernde Personalführung und disruptive Unternehmenskultur entstanden, die für etablierte Unternehmen eine schwer zu überwindende Barriere darstellt.

Lernprozess Innovationsstrategie

Diese drei Ursachen möchte ich in den folgenden Abschnitten erläutern. Ein besseres Verständnis der Ursachen kann dazu beitragen, dass etablierten Unternehmen der digitale Wandel besser gelingt. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings die Bereitschaft, zu lernen und traditionelle kulturelle Normen zu hinterfragen. Den Ausgangspunkt bildet eine systemorientierte Verbindung der Strategie 1.0 und der Strategie 2.0.

 

Systemorientierte Verbindung von Strategie 1.0 und 2.0

Seit Anfang der 1980er Jahre hat eine Erweiterung des traditionellen markt- und finanzorientierten strategischen Managements (Strategie 1.0) um eine technologie- und innovationsorientierte zweite Entwicklungsstufe stattgefunden (Strategie 2.0).2 Diese Erweiterung haben erfolgreichen Digital-Unternehmen zu ihrem Vorteil genutzt. Deren Erfolg basiert zum einen auf ihrem Vorsprung bei digitalen Technologien. Mindestens ebenso wichtig ist die systemorientierte Integration eines analyseorientierten strategischen Handelns und einer innovationsfördernden Kultur. Auf diese Weise ist es ihnen gelungen, einen neuen integrierten Ansatz zur Gestaltung von Innovationsystemen zu realisieren.3 Dieser Ansatz ist nicht auf das eigene Unternehmen beschränkt, sondern bezieht Start-up-Ökosysteme mit ein.

In erfolgreichen Start-up-Ökosystemen arbeiten vier Sektoren partnerschaftlich zusammen. Die Politik fördert aktiv die Bildung, neue Technologien und Innovationen. Der Wissenschaft gelingt die erfolgreiche Ausgründung von Start-ups. Wagniskapitalgeber und ein Corporate Venture Management finanzieren nicht nur die Gründung, sondern auch die Skalierung der Start-ups. Und auch die Gesellschaft spielt eine wichtige Rolle, indem sie ein positives Innovationsklima und attraktive Rahmenbedingungen schafft.

Lernprozess Innovationsstrategie

Dieses Zusammenspiel hat mit mehreren Jahrzehnten Vorsprung gegenüber Europa zur Erfolgsgeschichte des Silicon Valleys geführt.4 Das Beispiel zeigt jedoch auch das Spannungsverhältnis zwischen dem gegenwärtigen KI-Boom und den explodierenden Lebenshaltungskosten an der US-amerikanischen Westküste.

Die Entwicklung von Start-up-Ökosystemen wurde durch die in den 1960er Jahren entstandene Design-Wissenschaft5 und Methoden wie dem Design Thinking befruchtet.6 Das Design Thinking unterstützt den interdisziplinären Lernprozess zur Gestaltung von digitalen Geschäftsmodellen. Dabei wirken innovative Technologien als Ermöglicher von neuen Formen der Problemlösung und Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Das bereits in den 1940er Jahren von dem Psychologie-Professor Kurt Lewin in den USA entwickelte Action Research7 liefert die theoretische Basis für Lernschleifen, die von Hypothesen ausgehen, etwas gestalten, das man bei Kunden testen kann und deren Ergebnisse zu möglichen Richtungsänderungen führen. Anfang der 1990er Jahren sind auf dieser Grundlage agile Methoden zur Softwareentwicklung wie Scrum entstanden.8 So sind aus Start-ups, die diese Konzepte nutzen, die wertvollsten Unternehmen der Welt geworden.

Das Beispiel Amazon zeigt, dass diese Unternehmen auch kritische Phasen meistern mussten. Nach dem Scheitern eines Projekts zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Funktionsbereichen erkannte Jeff Bezos die Notwendigkeit eines Richtungswechsels. Er führte das „Zwei-Pizza-Prinzip“ für agile Teams ein und setzte die Konzentration von Projektleitern auf ein einzelnes Projekt durch (Single-Threaded Leaders). Damit agile Teams möglichst selbständig arbeiten können, war die Entwicklung einer modularen IT-Architektur notwendig. Diese interne Initiative bildete den Ausgangspunkt für die Gründung von Amazon Web Services (AWS), dem heutigen Weltmarktführer im Cloud-Geschäft.9

Die theoretische Grundlage für derartige Aktivitäten lieferte ein Paradigmenwechsel im strategischen Management, der sich in den 1990er Jahren vollzogen hat. Ich möchte kurz schildern, wie ich diese Zeit erlebt habe.

 

Paradigmenwechsel von mechanistisch zu komplexitätsbewältigend

Nach rund einem Jahrzehnt in der Strategieberatung hatte ich damals den Eindruck, dass die vorhandenen, relativ mechanistische Strategiekonzepte nicht ausreichend sind, um die Komplexität von Innovations- und Nachhaltigkeitsthemen zu bewältigen. Auf der Suche nach besseren Lösungsansätzen bin ich auf die Evolutions- und Komplexitätstheorien gestoßen und habe über den notwendig erscheinenden Paradigmenwechsel im strategischen Management 1991 an der Universität Stuttgart extern habilitiert.10

Lernprozess Innovationsstrategie

Ein komplexitätsbewältigendes strategisches Management basiert auf drei theoretischen Grundlagen, die sich wechselseitig beeinflusst haben. Als erstes sind in verschiedenen Disziplinen Evolutionstheorien entstanden, Sie betrachten die dynamische Abfolge von Ungleichgewichten als Balance zwischen Chaos und Ordnung, dessen Ergebnis von den Anfangsbedingungen abhängt.11 Wichtige Impulse gingen dann von dem 1984 in den USA gegründeten Santa Fe Institute und der dort entwickelten Theorie komplexer adaptiver Systeme aus. Diese beschäftigt sich mit der Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für eine stärker selbstorganisierte Interaktion kompetenter Akteure am „Chaosrand“, die auf einfachen Regeln basiert.12 Einen Beitrag zur Anwendung in Organisationen leistet die Theorie komplexer interaktiver Beziehungsprozesse. Im Mittelpunkt stehen hierbei lokale, nicht lineare Interaktionen von Akteuren, aus deren Verlauf sich Muster ergeben, die schwer prognostizierbar sind.13

Diese relativ abstrakt klingenden Gedanken waren in den 1990er Jahren etablierten Unternehmen schwer zu vermitteln. Daher sind auch die großen Beratungsunternehmen nicht auf diesen Zug aufgesprungen. Dennoch haben die Theorien ihren Weg in die Praxis gefunden. Dieser Weg führte von der Stanford University zu Google. Mit der fortschreitenden Digitalisierung hat dann die Bedeutung der Evolutions- und Komplexitätstheorien stark zugenommen.

1995 erschien das Buch Competing on the Edge der späteren Google-Managerin Shona Brown und der Stanford-Professorin Kathleen Eisenhardt, die versuchen die Komplexitätstheorien auf das strategische Management zu übertragen.14 Ihre Handlungsempfehlungen gliedern sie in die Felder Chaosrand, Zeit-Harmonie und zeitliche Taktung. Im Mittelpunkt steht dabei eine Komplexitätsbewältigung durch die Suche nach der richtigen Balance. Im Feld Chaosrand lauten die Handlungsempfehlungen:

  • Mit professioneller Improvisation die Mitte zwischen zu viel Struktur und zu viel Durcheinander suchen und
  • durch gemeinsame Anpassung Synergien zwischen Geschäften nutzen, um so die Balance zwischen zu viel Kooperation und zu viel Egoismus zu finden.

Die Empfehlungen im Feld Zeit-Harmonie sind:

  • Durch gezielte Erneuerung Vorteile aus der Zukunft und der Vergangenheit ableiten und
  • Experimente durchführen, um mit Erfahrung heute das Morgen zu gestalten.

Die letzte Empfehlung betrifft die zeitliche Taktung. Sie lautet:

  • Das Tempo vorgeben, um so Übergänge zu synchronisieren und den richtigen eigenen Rhythmus zu finden.

Diese Handlungsempfehlungen haben die Personalführung und Kultur von Google und anderen Digital-Unternehmen geprägt.

 

Innovationsfördernde Personalführung und disruptive Unternehmenskultur

In Digital-Unternehmen hat sich ein spezifischer Führungsstil entwickelt, den man in den USA als „geeky leadership style“ bezeichnet. Der Begriff Geek (oder deutsch Geck) erlebt dabei einen Bedeutungswandel zum Positiven. Diese Form der Personalführung ist kulturprägend. Charakteristisch hierfür sind die folgenden vier kulturellen Normen:15

  • Eine spezifische wissenschaftliche Vorgehensweise (Science)
  • persönliche Verantwortung (Ownership)
  • eine hohe Geschwindigkeit von Iterationen (Speed) und
  • Offenheit (Openness).

Der disruptive Charakter einer solchen Kultur liegt darin, dass sie für etablierte Unternehmen aufgrund von Verhaltensbarrieren schwer zu entwickeln ist. Dies möchte ich kurz erläutern.

Lernprozess Innovationsstrategie

Die auf dem Action Learning und der Design-Theorie basierende wissenschaftliche Vorgehensweise ist auf ein datenbasiertes, lernendes Gestalten gerichtet. Diese Erkenntnisse haben Digital-Unternehmen wie Google frühzeitig genutzt und Infrastrukturen für das Testen von Hypothesen entwickelt. Die Testergebnisse bilden dann den Ausgangsunkt für eine intensive, faktenorientierte Argumentation der Akteure. Demgegenüber beruhen Entscheidungen in etablierten Unternehmen stärker auf den Überzeugungen und der Macht von Führungskräften sowie auf den Meinungen von Experten. Der kulturelle Wandel zu einem stärker wissenschaftlich orientierten Vorgehen kann in etablierten Unternehmen daher Widerstand auslösen, weil die Verantwortlichen einen Bedeutungsverlust befürchten. Die Personalentwicklung an Hochschulen und in der Praxis sollte hier ein bewusstes Gegengewicht schaffen.

Charakteristisch für digitale Start-ups ist eine persönliche Verantwortung der Führungskräfte mit einem höheren Grad an Autonomie, einer Ermächtigung agiler Teams und weniger Koordinationsaufwand. Etablierte Unternehmen kämpfen hingegen oft mit einer zunehmenden Bürokratisierung, bei der viele mitreden dürfen und ihre Macht demonstrieren, indem sie ein Veto einlegen. Auch Microsoft stand vor der Herausforderung, eine Ownership-Kultur zurückzugewinnen, was unter der Führung von Satya Nadella gelungen ist. In der Öffentlichkeit viel diskutiert wird der Versuch des Unternehmens Bayer, Bürokratie mit Hilfe des Humanocracy-Konzepts abzubauen, das der Management-Guru Gary Hamel entwickelt hat.16 Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich dieser Versuch ist.

Eine Wurzel des „geeky leadership styles“ ist das 2001 geschriebene agile Manifest, das die Geschwindigkeit von schnellen Iterationen betont. Etablierte Hardware-orientierte Unternehmen tun sich häufig schwer, dieses bei der Softwareentwicklung entstandene Vorgehen mit ihrem existierenden Produktinnovationsprozess zu verknüpfen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Software z.B. in der Automobilindustrie werden hybride Ansätze immer wichtiger, die die vorhandenen Kompetenzen mit Digitalkompetenz verbinden. Ein Erfolgsindikator hierfür ist, dass die Unternehmen ihre gesetzten Zeitziele erreichen und nicht Opfer des 90-Prozent-Syndroms werden, bei dem die Akteure zu spät merken, dass sie ihre Ziele verfehlen.

Charakteristika der kulturellen Norm Offenheit sind das Teilen von Informationen, Empfänglichkeit für andere Argumente, die Bereitschaft, Situationen neu zu bewerten und die eigene Richtung zu ändern. Das Gegenteil von Offenheit sind weit verbreitete defensive Verhaltensmuster, die der Harvard-Professor Chris Argyris bereits seit den 1980er Jahren als Kennzeichen etablierter Unternehmen beschrieben hat.17 Die negative Konsequenz ist oft, dass die Gemeinschaft diejenigen bestraft, die gegen herrschende Normen verstoßen. Eine Extremform defensiver Verhaltensmuster ist die stillschweigende Duldung unethischer oder strafbarer Aktivitäten. Hingegen erkennt man eine durch Offenheit geprägte Kultur z.B. daran, dass junge Mitarbeitende ihrem Chef in einem internen Meeting offen widersprechen dürfen, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen.

Dieses Beispiel führt uns zu einem Ansatz, wie etablierte Unternehmen die kulturelle Distanz zur digitalen Welt verringern können.

 

Kulturelle Normen anpassen und vorleben

Führungskräfte etablierter Unternehmen haben die Aufgabe, einen individuellen Zugang zu den kulturellen Normen erfolgreicher Digital-Unternehmen zu finden. Dabei kann die Kenntnis der skizzierten theoretischen Grundlagen hilfreich sein. Der Erfolg in der digitalen Welt bedeutet jedoch nicht, dass diese Normen 1:1 auf ein etabliertes Unternehmen übertragbar sind. Sie bedürfen einer Anpassung an die spezifische Situation und an die Rahmenbedingungen des jeweiligen Unternehmens. Nachdem bezüglich dieser situativen Anpassung ein Konsens besteht, kommt es darauf an, dass die Führungskräfte veränderte kulturelle Normen vorleben. Eine wichtige Rolle spielt dann eine entsprechende Personalentwicklung und Beförderungspolitik. Daher ist die Vorstellung von einer schnellen, umfassenden digitalen Transformation unrealistisch. Eine erfolgreiche digitale Neuausrichtung in etablierten Unternehmen verläuft eher als spezifischer, längerfristiger Prozess.18

 

Zusammenarbeit mit Start-ups als eine zu wenig genutzte Chance

Eine Möglichkeit für etablierte Organisationen, von erfolgreichen Digital-Unternehmen zu lernen, besteht in einer verstärkten Zusammenarbeit mit Start-ups. Leider wird diese Chance zu wenig genutzt. So kommt eine Studie des Deutschen Start-up-Monitors zu dem Ergebnis, dass die Kooperation von Konzernen und Mittelständlern mit jungen Unternehmen von 2020 bis 2023 um zehn Prozent zurückgegangen ist. Die Chefin des Start-up-Verbands Verena Pausder sieht in dieser Rückwärtsentwicklung ein Alarmsignal und fördert eine Neuauflage der Partnerkultur.19 Gerade das aktuelle Thema der generativen Künstlichen Intelligenz böte hierzu vielfältige Ansätze. Zwar gibt es eine Reihe von Initiativen, wie die seit 2018 in Ostwestfalen stattfindende Konferenz „Hinterland of Things“, die verschiedenen Akteure vernetzt. Aber insgesamt existiert bei der Gestaltung von Start-up-Ökosystemen noch ein erhebliches Ausbaupotenzial.

 

Fazit

  • Viele der wertvollsten Unternehmen der Welt haben sich in relativ kurzer Zeit von Start-ups zu Digital-Champions entwickelt
  • Zur Beantwortung der Frage, was etablierte Unternehmen hieraus lernen können, haben wir die Entwicklung des strategischen Managements analysiert
  • Im Unterschied zu etablierten Unternehmen haben Digital-Unternehmen in ihren Erfolgsphasen einen Paradigmenwechsel im strategischen Management von mechanistisch zu komplexitätsbewältigend aktiv vorangetrieben
  • Eine wichtige Rolle hat dabei ein Wandel der Personalführung und Kultur gespielt
  • Führungskräfte in etablierte Unternehmen stehen vor der Aufgabe, situativ angepasste kulturelle Normen vorzuleben
  • Dabei sollten sie stärker die Möglichkeit nutzen, mit Start-ups zusammenzuarbeiten

 

Literatur

[1] Sommer, U., KI entfacht Kursfeuerwerk. In: Handelsblatt, 27. Dezember 2023, S.1, 4, 6

[2] Servatius, H.G., Evolution des strategischen Managements. In: Competivation Blog, 28.06.2024

[3] Servatius, H.G., Gestaltung des Innovationssystems von Unternehmen. In: Servatius, H.G., Piller, F.T. (Hrsg.), Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement, Symposion 2014, S. 21-64

[4] Keese, C., Silicon Valley – Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, Knauer 2014

[5] Simon, H.A., The Sciences of the Artificial, 2.Aufl., MIT Press 1981 (1. Aufl.1969)

[6] Kelly T., Kelly, D., Creative Confidence – Unleashing the Creative Potential within us all, William Collins 2013

[7] Marrow, A.J., Kurt Lewin – Leben und Werk, Ernst Klett 1977

[8] Sutherland, J.J., The Scrum Fieldbook – A Master Class on Accelerating Perfomance, Getting Results, and Defining the Future, Currency 2019

[9] Bryar, C., Carr, B., Working Backwards – Insights, Stories, and Secrets from Inside Amazon, Macmillan 2021

[10] Servatius, H.G., Vom strategischen Management zur evolutionären Führung – Auf dem Wege zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, Poeschel 1991

[11] Beinhocker, E.D., Die Entstehung des Wohlstands – Wie Evolution die Wirtschaft antreibt, mi-Fachverlag 2007

[12] Lewin, R., Die Komplexitätstheorie – Wissenschaft nach der Chaos-Forschung, Hoffmann und Campe 1993

[13] Stacey R., Tools and Techniques of Leadership and Management – Meeting the Challenge of Complexity, Routledge 2012

[14] Brown, S.L., Eisenhardt, K.M., Competing on the Edge – Strategy as Structured Chaos, Harvard Business Review Press 1998

[15] McAfee, A., The Geek Way – The Radical Mindset That Drives Extraordinary Results, Macmillan 2023

[16] Hamel, G., Zanini, M., Humanocracy – Creating Organizations as Amazing as the People Inside Them, Harvard Business Review Press 2020

[17] Argyris, C., Overcoming Organizational Defences – Facilitating Organizational Learning, Allyn and Bacon 1990

[18] Servatius, HG., Dreifache strategische Neuausrichtung. In: Competivation Blog, 07.06.2024

[19] Müller, A., Schimroszik, N., Mittelstand rückt von Start-ups ab. In: Handelsblatt, 13. Juni 2024, S.22

Resilienzorientiertes strategisches Management

Resilienzorientiertes strategisches Management

Führungskräfte stehen seit einiger Zeit vor der Herausforderung, eine Reihe extern verursachter Krisen gleichzeitig überwinden zu müssen. Hierzu zählen die Corona-Pandemie, geopolitische Konflikte und Lieferkettenprobleme. Daneben gibt es Krisen als Folge politischer Entscheidungen und interner Versäumnisse. Beispiele sind die hohen Energiekosten, der Fachkräftemangel und Schwierigkeiten beim digitalen Wandel. Dies hat zur vierten Entwicklungsstufe eines resilienzorientierten strategischen Managements geführt. Im Folgenden lernen Sie die Grundlagen und Charakteristika einer solchen Strategie 4.0 kennen.

 

In diesem Blogpost beschreibe ich, wie die notwendig erscheinende Resilienzoffensive in Wirtschaft und Politik gelingen kann.

 

Krisen meistern mit Resilienz

Das vorherrschende Thema auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos war die geopolitische Dauerkrise, die sich aus vielen einzelnen Konfliktherden zusammensetzt.1 In Deutschland nimmt die Kritik an der Regierung zu, und wie auch in anderen Ländern herrscht bei Teilen der Bevölkerung eine Vertrauenskrise, die die Demokratie bedroht.2 In Unternehmen wächst die Skepsis bezüglich der Stabilität der internationalen Beziehungen und der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Es gibt mehr Insolvenzen, weniger Innovationen und in vielen Branchen auch einen Abbau der Beschäftigung.3

Die Frage ist daher, wie Organisationen und die dort arbeitenden Menschen diese neuartige Krisensituation meistern können. Ein Erfolg versprechender Ansatz ist die Verbesserung der Resilienz. Die Grundlagen hierzu sind in verschiedenen Disziplinen entstanden.

 

Grundlagen in verschiedenen Disziplinen

Für ein resilienzorientiertes strategisches Management gibt es bislang kaum Vorbilder. Die Wirtschaftswissenschaften lernen von der Psychologie, wie Organisationen Rückschläge meistern. Dabei versteht man unter Resilienz bei Menschen und in sozialen Systemen die Fähigkeit, Krisen zu überwinden und möglicherweise sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen.

Die Grundlagen für ein resilienzorientiertes strategisches Management kommen aus mehreren wissenschaftlichen Fachbereichen. Ein operatives Resilienzmanagement beschäftigt sich z.B. mit der Bewältigung von Krisen in Lieferketten.4 Für das sogenannte Business Continuity Planning ist ein eigener ISO-Standard enstanden. Die Corona-Pandemie hat zu einer Beschäftigung mit der Frage geführt, was resiliente Gesellschaften auszeichnet.5 In der positiven Organisationspsychologie sind wichtige Erkenntnisse zu den Hauptfaktoren der persönlichen Resilienz entstanden.

Lernprozess Innovationsstrategie

Von diesen in der Abbildung zusammengefassten Grundlagen ist für eine Strategie 4.0 die persönliche Resilienz von besonderer Bedeutung.

 

Hauptfaktoren der persönlichen Resilienz

Der Begründer der positiven Psychologie Martin Seligman und Gabriella Rosen Kellermann von der Coaching-Plattform BetterUp haben in ihrem PRISM-Modell fünf psychologische Kräfte herausgearbeitet, die im 21. Jahrhundert entscheidend für Zufriedenheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz sind.6 Diese Kräfte sind

  • P: Prospektion
  • R: Resilienz
  • I: Innovation und Kreativität
  • S: Soziale Unterstützung und
  • M: Bedeutsamkeit (Meaning and Mattering).

BetterUp hat 150 psychologische Faktoren analysiert und diejenigen identifiziert, die den höchsten Einfluss auf die Resilienz von Menschen haben.

Lernprozess Innovationsstrategie

Ein erster Resilienzfaktor ist die Emotionsregulation. Sie beschreibt die Fähigkeit, flexibel und produktiv mit negativen Emotionen umzugehen. Bewährt hat sich die Zwei-Stufen Methode, die zwischen einer bewussten Verlangsamung und einer kognitiven Neubewertung unterscheidet.

Faktor zwei ist Optimismus. Ein Weg, um auch in schwierigen Situationen optimistisch zu sein, führt über den Ansatz ,,das bestmögliche Selbst“. Dabei visualisiert man sich selbst z.B. in drei Jahren unter der Prämisse, dass alles gut gegangen ist.

Der dritte Faktor ist geistige Beweglichkeit, die einem hilft, bei Problemen realistische Zukunftsentwürfe zu entwickeln. Das Ziel besteht darin, sich mehrere Optionen offen zu halten. Eine solche Situation liegt z.B. vor, wenn man mit seinem Chef nicht klar kommt oder einen die Kultur des eigenen Unternehmens enttäuscht. Für qualifizierte Personen bietet der Arbeitsmarkt heute viele Alternativen.

Ein weiterer Faktor ist Selbstmitgefühl. Darunter versteht man die Fähigkeit, sich selbst in einer schwierigen Lage Mitgefühl entgegenzubringen. Eine typische Situation sind ausbleibende Vertriebserfolge, bei denen man nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen und möglicherweise einen Coach um Unterstützung bitten sollte.

Der wichtige fünfte Resilienzfaktor ist Selbstwirksamkeit im Sinne der Überzeugung, in einem bestimmten Bereich erfolgreich sein zu können. Eng damit verbunden ist Handlungsmacht, also die Überzeugung, künftige Ereignisse beeinflussen zu können.

Die Personalentwicklung hat die Aufgabe, die PRISM-Kräfte und Resilienzfaktoren der Mitarbeitenden zu trainieren. Führungskräfte sollten an ihrer Well-being Intelligenz arbeiten und lernen, ihre spezifischen Kompetenzen zur Steigerung des Wohlbefindens von Teams und Organisationen auch unter schwierigen Rahmenbedingungen zu steigern.7

Auf diesen Grundlagen baut die vierte Entwicklungsstufe eines resilienzorientierten strategischen Managements auf.

 

Strategie 4.0 zur Überwindung von Polykrisen

Der Fokus einer Strategie 4.0 liegt bei der Überwindung von Polykrisen. Den Begriff Polykrise hat bereits in den 1970er Jahren der französische Komplexitätsforscher Edgar Morin geprägt. Man versteht darunter das Zusammenwirken von mehreren Krisen mit schwer vorhersehbaren Verläufen. 2023 hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) das Thema aufgegriffen. Systemanalysen der Wechselwirkungen werden in System Maps dargestellt. Der Übergang von der Analyse zur Ableitung von Maßnahmen steht erst am Anfang. Hier setzt die strategische Resilienz an, die inzwischen zu einem möglichen Wettbewerbsvorteil geworden ist.

Beim Thema Resilienz gibt es jedoch einige Mythen, z.B.8

  • Resilienz sei vor allem ein Supply Chain-Thema, also primär eine operative Aufgabe,
  • die vor allem Kosten verursache und wenig zur Wertsteigerung beitrage.

Unsere Erfahrung aus einer Reihe von Resilienzprojekten zeigt, dass die strategische Bedeutung des Resilienzthemas zunimmt. Ein wichtiger Schritt ist dabei die systematische Krisenanalyse mit einem Resilienz- Portfolio.

 

Krisenanalyse mit einem Resilienz-Portfolio

Eine Krisenanalyse beginnt mit der Identifikation wichtiger Krisen der Vergangenheit und Gegenwart. In einem Resilienz-Portfolio betrachtet man für diese Krisen die Ursachen und Ansätze zur Krisenüberwindung. Bei den Ursachen unterscheidet die Portfolio-Analyse zwischen internen Versäumnissen, externen Auslösern und dem Vorliegen von beidem. Eine Überwindung von Krisen kann bislang nicht gelungen, erfolgreich verlaufen oder sogar zu einer Vorbereitung auf ähnliche Krisen beigetragen haben. Diese Analyse unterstützt ein vertieftes Verständnis der Ursachen und eine Beantwortung der Frage, warum die Krisenüberwindung bislang nicht erfolgreich war. Ein Negativbeispiel ist die Digitalisierungskrise im öffentlichen Sektor, bei der in Deutschland leider noch keine Lösung in Sicht ist.

Lernprozess Innovationsstrategie

Eine anspruchsvolle weiterführende Aufgabe ist die Analyse der Zusammenhänge zwischen Krisen von Organisationen. So besteht z.B. bei der Digitalisierungskrise häufig eine Wechselwirkung zum Fachkräftemängel. Aus derartigen Analysen lassen sich strategische Resilienzprogramme ableiten, die Organisationen gemeinsam mit ihren Stakeholdern starten sollten.

 

Strategische Resilienzprogramme gemeinsam mit Stakeholdern

Zwischen einem resilienzorientierten strategischen Management und anderen sozialen Systemen gibt es komplexe Wechselwirkungen. Die Strategie einer Organisation ist in die Politik auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene eingebettet, die unterschiedliche Resilienzgrade aufweisen kann. Enge Zusammenhänge bestehen zwischen einer resilienzorientierten Politik und einem resilienten Finanzmarkt. Das Gleiche gilt für die Politik und die Gesellschaft. Neben der direkten Wirkung des strategischen Managements beeinflussen auch diese externen Faktoren die Resilienz der Mitarbeitenden. Die Gestaltung von strategischen Resilienzprogrammen ist daher eine extrem anspruchsvolle Aufgabe, die Kompetenz im Umgang mit Komplexität erfordert.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

Dabei können Unternehmen auf ihrer Erfahrung im Programm-Management aufbauen. Hierunter versteht man eine zeitlich befristete Managementaufgabe, die in der Planung, Leitung und im Controlling inhaltlich zusammengehöriger Projekte besteht. Von intersektoralen Programmen spricht man bei der Zusammenarbeit von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Trotz seiner aktuellen Bedeutung ist dieses Thema bislang erstaunlich wenig erforscht.

Strategische Resilienzprogramme von Organisationen können von externen Auslösern und internen Versäumnissen ausgehen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind resiliente Führungskräfte und Mitarbeitende. Von geeigneten Formen der Zusammenarbeit mit Stakeholdern sollte eine positive Verstärkung ausgehen. Am Anfang steht die Bündelung wichtiger Resilienz-Initiativen. Auch hierbei hat sich ein agiles Performance Management z.B. mit der Objectives and Key Result (OKR-) Methode bewährt.9

 

Resilienzoffensive bei Smart Metern und der Elektromobilität

Ein Beispiel ist die von Start-ups ausgehende Resilienzoffensive bei intelligenten Stromzählern. Als wir 2011 das Buch Smart Energy herausgegeben haben, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass die Energiewende und der Wandel zu neuen, nachhaltigen Geschäftsmodellen in Deutschland so lange dauern würden.10 Die Europäische Union (EU) hatte 2009 das Ziel ausgegeben, bis 2020 achtzig Prozent der Verbraucher mit Smart Metern auszustatten. Dieses Ziel hat das deutsche Stakeholder-Ökosystem mit seinen Akteuren aus Politik, Behörden und etablierten Energieversorgern weit verfehlt.

Eine Resilienzoffensive starten nun die drei Start-ups Tibber, Octopus Energy und Rabbot Charge, die eigentlich Konkurrenten sind. Ihr Ziel ist, mit Hilfe von intelligenten Stromzählern endlich dynamische Stromtarife zu ermöglichen und so zu einem profitablen digitalen Geschäftsmodell zu kommen. Dabei kooperieren sie mit einem Vermittlerunternehmen, das Kundenanfragen bündelt.11 Das Beispiel zeigt, dass einzelne Akteure auch in einer schwierigen Situation die Handlungsmacht zurückgewinnen können, wenn sie entschlossen vorgehen.

Noch enttäuschender ist die Situation bei der Elektromobilität. Bereits 1994 haben wir nach einem Projekt für einen großen Autohersteller in einer Buchpublikation aufgezeigt, wie der Wandel zu einem nachhaltigen Mobilitätssystem gelingen kann.12 Es dauerte dann aber sehr lange, bis Tesla den etablierten Anbietern vorgemacht hat, wie mit Elektromobilität und Digitalisierung ein erfolgreiches neues Geschäftsmodell umgesetzt wird. Bis 2030 will die Bundesregierung 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen sehen. Aktuell sind es knapp 1,5 Millionen E-Autos. Die Politik, die deutschen Autohersteller und die Zulieferer haben sich auf dem Weg in die Elektromobilität offensichtlich verirrt und brauchen nun eine Resilienzoffensive.13 Wie die Offensive konkret aussehen könnte, ist bislang noch weitgehend offen. Fest steht, dass der nächste Schuss sitzen muss. Das heißt, Elektroautos müssen preiswerter und alltagsfreundlicher werden. Die Hoffnung liegt daher auf einer neuen Generation der Elektromobilität.14 Gleichzeitig sollten sich die politischen Rahmenbedingungen verbessern. Resilienz entsteht somit von innen nach außen und von außen nach innen.

 

Gegenstrom von Inside out- und Outside in-Ansätzen

Eine Lehre aus erfolgreichen Programmen ist, dass die Überwindung von Resilienzdefiziten an zwei Seiten ansetzen muss:

  • Der persönlichen Resilienz, der Resilienz einer Organisation und ihrer Partner (Inside out-Resilienz) sowie
  • der Resilienz der Politik, an den Finanzmärkten und in der Gesellschaft (Outside in-Resilienz).

Aus dem Zusammenwirken der von innen nach außen und von außen nach innen wirkenden Kräfte entsteht eine leistungsfähige Gegenstrom-Resilienz, die einen engen Schulterschluss von Wirtschaft und Politik erfordert.

 

Lernprozess Innovationsstrategie

Das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Ende des zweiten Weltkriegs war das Ergebnis eines solchen Prozessen. Der Unterschied zu der sich gegenwärtig abzeichnenden schleichenden Deindustrialisierung ist, dass unser Land damals in Schutt und Asche lag. Diese katastrophale Situation hat enorme Resilienzkräfte mobilisiert. Wie auch beim Beispiel von dem Frosch, der sich in einem Topf mit Wasser befindet, das langsam erhitzt wird und der nicht reagiert, scheinen auch wir heute nicht in der Lage zu sein, unsere gemeinsamen Kräfte zu mobilisieren.

Diese Einschätzung der Situation hat zu der Erkenntnis beigetragen, dass unsere Unternehmen dringend die fünfte Entwicklungsstufe eines verbindenden strategischen Managements benötigen.15 Die Hoffnung ist, dass unser Land gestärkt aus der Polykrise hervorgeht. Aber leider ist das Vertrauen vieler Menschen in unsere Institutionen seit einiger Zeit gestört. Eine zentrale Herausforderung beim Übergang von der vierten resilienzorientierten zur fünften Stufe ist, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Das in meinem letzten Blogpost behandelte dialogbasierte Handeln bildet hierfür eine wichtige Grundlage.16

 

Bessere Bewältigung von Komplexität

Das Ziel des resilienzorientierten strategischen Managements ist eine bessere Bewältigung von Komplexität. In den fünf Entwicklungsstufen des strategischen Managements hat sich ein Paradigmenwechsel von mechanistisch zu komplexitätsbewältigend vollzogen. Dieser Wechsel begann Anfang der 1990er Jahre. Den Ausgangspunkt bildeten zwei Erkenntnisse nämlich:17

  • Die Einsicht, dass relativ mechanistische Konzepte, wie z.B. die Portfolio-Analyse, nicht ausreichen, um dauerhafte strategische Erfolge zu erzielen sowie
  • die Anwendung der Evolutionstheorien und der neueren Komplexitätstheorien in Wirtschaft und Politik.

Diese Erkenntnisse haben lange Zeit in der Managementtheorie und -praxis nicht die ihnen gebührenden Bedeutung erlangt.18 Mit der zunehmenden Bedeutung des Themas Resilienz könnte sich dies ändern.

Eine wichtige Rolle spielt dabei eine andere Form der Management- und Politikberatung. Ein solches Impact-Consulting mit positiver Wirkung möchte ich kurz skizzieren.

 

Impact Consulting mit positiver Wirkung

In den vergangenen mehr als hundert Jahren haben sich weitgehend getrennt voneinander zwei unterschiedliche Beratungsansätze entwickelt. Der eine Ansatz ist das klassische Management Consulting, das betriebswirtschaftlich-, technisch-, IT- und juristisch-orientiert sein kann. Der Fokus liegt dabei auf Inhalten. Daher spricht man von einer Fachberatung. Beispiele hierfür sind die Themen Strategie, Wachstum, M&A, Kostensenkung, Geschäftsprozesse und Sanierung. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Skandale, in die große Consulting- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen verwickelt sind, hat die Kritik an deren Geschäftsmodellen zugenommen.19

Der zweite Beratungsansatz ist die Organisations-, Führungskräfte- und Personalentwicklung. Dieser Ansatz ist organisationspsychologisch orientiert. Als Wurzel gilt das in den 1940er Jahren entstandene Action Research, das von dem aus Deutschland in die USA emigrierten Psychologie-Professor Kurt Lewin begründet wurde.20 Der Fokus liegt hier auf Menschen in sozialen Systemen. Man spricht daher von einer Verhaltensberatung. Beispiele sind die Themen lernende Organisation, Change Management und positives Business Coaching. Leider ist es häufig schwierig, mit diesen Konzepten den Zugang zu Top-Managern und Politikern zu finden, da die Führungsebenen meist wenig organisationspsychologisch geschult sind. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) im Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, dass Weiterbildungsprogramme für eine große Anzahl von Mitarbeitenden immer wichtiger werden.21

Lernprozess Innovationsstrategie

Eine Synthese dieser beiden Ansätze ist das Impact Consulting mit positiver Wirkung. Diese Synthese ist stärker interdisziplinär orientiert. Sie verbindet die Fachberatung mit der Verhaltensberatung. Der Fokus liegt auf einer Bewältigung neuer, komplexer Herausforderungen. Hierin besteht die positive Wirkung einer solchen Synthese, denn bei Themen wie Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz ist die Wirkung des klassischen Management Consulting häufig eher gering oder sogar negativ. Die Ursache hierfür ist, dass viele Consultants organisationspsychologische Aspekte ausblenden.

Ein interessantes KI-basiertes Werkzeug zur Messung der positiven Wirkung von Führungskräften hat die Universität Oxford gemeinsam mit der Kommunikationsberatung Kekst CNC entwickelt. Dieser Executive Impact Score (EIS) analysiert die Kommunikation von Führungskräften und gibt Anregungen, wie diese z.B. ihre Erläuterung von innovativen Strategien verbessern können.22 Dabei sind das Sprachtempo und die richtige Balance zwischen Informationen und Emotionen wichtige Erfolgsfaktoren. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Kommunikation mit unterschiedlichen Stakeholdern, bei der es auf Glaubwürdigkeit und Authentizität ankommt.

In unserer Begleitforschung zum Impact Consulting, das wir seit langem praktizieren, untersuchen wir, wie der EIS und andere innovative Konzepte die Wirkung von Beratungs- und Personalentwicklungsprogrammen verbessern. Hieraus ergeben sich wichtige Impulse für die Gestaltung zukünftiger Karrierepfade23. Bereits heute ist absehbar, dass die Bedeutung des Themas Resilienz weiter zunehmen wird.

 

 

Zunehmende Bedeutung von Resilienz

Einer der Gründe für die zunehmende Bedeutung von Resilienz ist, dass trotz des Fachkräftemangels viele Unternehmen vor allem im Mittelmanagement massiv Stellen abbauen. Häufig passt das Qualifikationsprofil der frei werdenden Mitarbeitenden aber nicht zu den Anforderungen in den Bereichen die Personal suchen. Aufgrund der rasanten Entwicklung bei großen Sprachmodellen wie ChatGPT beschleunigt sich diese Entwicklung gegenwärtig.24 Die mögliche Antwort sind systematische Umschulungen, die auch öffentlich gefördert werden. Bei einem solchen Reskilling sind die Anforderungen an die Resilienz der Betroffenen jedoch erheblich.25

Neben der Resilienz vom Einzelnen nach außen die Resilienz von der Politik nach innen immer wichtiger. Große europäische Unternehmen fordern von der EU verbesserte Rahmenbedingungen für die Industrie. Ein zehn Punkte umfassender Industrial Deal soll den Green Deal ergänzen, um hochwertige Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Kernpunkt ist die Korrektur von bremsenden Regulierungen auf der EU-Ebene, die weniger widersprüchlich und komplex gestaltet sein sollten.26 Es bleibt abzuwarten, ob eine neue EU-Kommission diese Forderungen erfüllt.

 

Fazit

  • Die zahlreichen Krisen der letzten Jahre haben zur Entstehung der vierten Entwicklungsstufe eines resilienzorientierten strategischen Managements geführt
  • Eine der Grundlagen für diese Strategie 4.0 liefert die positive Organisationspsychologie
  • Die verbesserte Resilienz von Menschen in sozialen Systemen ist inzwischen zu einem wichtigen strategischen Wettbewerbsvorteil von Organisationen und Staaten geworden
  • Ausgehend von einer Krisenanalyse sollten Führungskräfte ihre Fähigkeiten zur Durchführung von strategischen Resilienzprogrammen gemeinsam mit relevanten Stakeholdern verbessern. Eine Herausforderung dabei ist die Komplexitätsbewältigung
  • Neue Formen eines Impact Consulting verbinden die Fachberatung mit einer Verhaltensberatung und erzielen so eine positive Wirkung

 

Literatur

[1] Brown, G, El-Erian, MA, Spence, M: Permacrisis – A Plan to Fix a Fractured World, Simon & Schuster 2023

[2] Lobo, S: Die große Vertrauenskrise – Ein Bewältigungskompass, Kiepenheuer & Witsch 2023

[3] Sommer, U, Bei den Unternehmen wächst die Skepsis. In: Handelsblatt, 27.Dezember 2023, S. 20-21

[4] Sheffi, Y: The Power of Resilience – How the Best Companies Manage the Unexpected, The MIT Press 2015

[5] Brunnermeier, MK : Die resiliente Gesellschaft – Wie wir künftige Krisen besser meistern können, Aufbau 2021

[6] Rosen Kellerman, G, Seligman, M: Tomorrowmind – Thriving at Work with Resilience, Creativity and Connection, Atria Books 2023

[7] Rhoulet, T, Bhatti, K : Well-being Intelligence – A Skillset for the New World of Work. In: MIT Sloan Management Review, 13. April 2023

[8] Reeves, M, O’Dea, A, Carlsson-Slezak, P: Make Resilience Your Company’s Strategic Advantage. In: Harvard Business Review, 25. März 2022

[9] Doerr, J. Measure What Matters – How Google, Bono, and the Gates Foundation Rock the World with OKRs, Bennet Group 2018

[10] Servatius, HG, Schneidewind U, Rohlfing D (Hrsg): Smart Energy – Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem, Springer 2011

[11] Krapp, C: Start-ups starten Initiative für Smart Meter. In: Handelsblatt, 17. Januar 2024, S. 24

[12] Berger, R, Servatius, HG, Krätzer, A: Die Zukunft des Autos hat erst begonnen – Ökologisches Umsteuern als Chance, Piper 1994

[13] Freitag M, Hucko M: Die Verzweifelten. In: Manager Magazin, Februar 2024, S. 20-26

[14] Backovic, L et al.: ,,Die Dinger stehen wie Blei“ In: Handelsblatt, 19./20./21. Januar 2024, S. 46-50

[15] Servatius, HG: Strategie 5.0 zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. In: Competivation Blog, 28.06.2022

[16] Servatius, HG: Management Education 5.0 zu einem dialogbasierten Handel. In: Competivation Blog, 13.01.2024

[17] Servatius, HG: Vom Strategischen Management zur Evolutionären Führung – Auf dem Wege zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, C. E. Poeschel 1991

[18] Brown, SL, Eisenhardt, KM: Competing on the Edge – Strategy as Structured Chaos, Harvard Business Review Press 1998

[19] Mazzucato, M, Collington, RH: Die große Consulting-Show – Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt, Campus 2023

[20] Krizanits, J: Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung, Carl-Auer 2013

[21] Servatius, HG: Generative KI und ein Mass Customized Action Learning. In: Competivation Blog, 28.08.2023

[22] Riecke, T: Wie Manager KI für bessere Reden einsetzen können. In: Handelsblatt, 18. Januar 2024, S.33

[23] Merten, M et al.: Gesucht – Die Vorstandsformel. In: Handelsblatt, 2./3./4. Februar 2024, S. 46-50

[24] Buchenau, M et al.: Und raus bist du! In: Handelsblatt, 16./17./18. Februar 2024, S. 46-50

[25] Telser, F: In fünf Schritten zum KI-Experten. In: Handelsblatt, 20. Februar 2024, S. 22

[26] Fröndhoff, B et al.: Industriepakt für Europa. In: Handelsblatt, 20. Februar 2024, S.1, 4-5

Interessiert?

CONNECTIVE MANAGEMENT

Vereinbaren Sie einen unverbindlichen Gesprächstermin:

 














    +49 (0)211 454 3731